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Digital In Arbeit

Säen vor dem Ernten

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Der Bauernhof ist mehr als nur eine Produktionsstätte. Er ist auch eine Lebensschule, gerade für das moderne Zeitalter.

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Der Bauernhof ist mehr als nur eine Produktionsstätte. Er ist auch eine Lebensschule, gerade für das moderne Zeitalter.

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Eine ökologische, bäuerliche Landwirtschaft ist das sich seit Jahrhunderten entwickelnde Ergebnis einer lebensgerechten Nutzung der Schöpfung. Diese Art eines nachhaltigen Umganges mit der Natur enthält Elemente unbedingt wünschenswerter und zum Teil unverzichtbarer Wirtschafts- und Lebensformen, die der gesamten Gesellschaft als Orientierung dienen sollten.

Durch die derzeitige Hauptstoßrichtung der EU-Agrarpolitik, die die Bauern zum Wachsen oder Weichen drängt, ist diese bäuerliche Landwirtschaft als Wirtschafts- und Lebensmodell in stärkstem Maße bedroht. So hat sich zum Beispiel die österreichische Agrarpolitik im Frühsommer dieses Jahres durch die Erhöhung der bewilligungsfreien Tierhöchstbestände um 150 Prozent dem Sachzwang einer falschen EU-Agrarpolitik angepaßt.

Nachfolgend ist der Versuch unternommen, kurz aufzuzeigen, weshalb es ein gesamtgesellschaftliches Anliegen sein muß, die bäuerliche Landwirtschaft als Wirtschafts- und Lebensform unbedingt zu erhalten. ■ Ökologische Vielfalt oder unökologische Einfalt?

Auf großen Flächen oder in großen Ställen kostengünstig zu produzieren zwingt zur Spezialisierung. Das ist aber genau das Gegenteil einer umweltgerechten Nutzung der Natur. Die Folgen: Zunahme der Krankheits- und Schädlingsanfälligkeit, Qualitätsverlust bei den Lebensmitteln, immer stärkere Trennung zwischen Lebensmittelerzeuger und -Verbraucher, Zunahme der Eintönigkeit der Arbeit und damit Verlust an Berufs- und Lebensfreude und so weiter.

■ Erholungs- oder Produktionslandschaften?

Das Bild unserer Landschaft ist das Ergebnis der bestehenden Agrarstruktur, sprich Größe und Art der Betriebe. Kolchosen im Osten, Großfarmen in Nordamerika, Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, nunmehr vielfach Ges.m.b.Hs in Ostdeutschland auf der einen und im Gegensatz dazu die klein- und mittelbäuerlichen, mehrseitig geführten Betriebe, vor allem im Älpenraum auf der anderen Seite, sind das praktische Beispiel hie- für. Wer eine abwechslungsreiche, vielseitig strukturierte Erholungs - landschaft im eigenen, wie im Tourismusinteresse im Gegensatz zu einer Produktionslandschaft beziehungsweise einer Agrarsteppe wünscht, dem muß die Erhaltung der kleineren und mittleren Bauern ein Anliegen sein.

■ Nachhaltigkeit oder Plünderung?

Das Schlüsselprodukt für eine industrielle Landwirtschaft ist der synthetisch erzeugte Stickstoffdünger, hergestellt mit Hilfe nichterneuerbarer, fossiler Energie. Er hat die unökologische Spezialisierung, das heißt, Trennung zwischen Pflanzenbau und Tierhaltung im großen Stil und damit das Aufbrechen einer ökologisch wünschenswerten Kreislaufwirtschaft sowie die Vernachlässigung der Humuswirtschaft erst möglich gemacht. Die im Grunde genommen einzige Form einer ökologischen, damit auf Dauer nachhaltigen und somit eigentlich verantwortbaren Form der Landwirtschaft ist jene, die für die Sicherung guter Erträge nicht auf die Plünderung der Erde von nichterneuerbarer fossiler Energie angewiesen ist.

■ Massenprodukte oder Lebensmittel? Haustiere oder „Produktionsmaschinen“?

Es muß im Interesse des Konsumenten liegen, daß sein Lebensmittel mit größter Sorgfalt, sowohl hinsichtlich der Qualität, wie auch der Schonung der Umwelt erzeugt werden. Wenn aber Bauern gezwungen sind, immer noch größere Mengen zu relativ immer noch niedrigeren Preisen zu erzeugen, wird das immer schwerer möglich. Muß der Bauer erleben, daß seine Produkte immer weniger wert sind, verliert er zwangsläufig immer mehr den persönlichen Bezug dazu.

Wenn es auch im Stall immer noch schneller gehen muß, geht damit automatisch auch die Verbindung zu den Tieren mehr und mehr verloren. Je weiter dann die Erzeugnisse des Bauern zur Verarbeitung weggeführt werden und je größer der Haufen oder der Topf ist auf beziehungsweise in dem diese landen, umso weniger fühlt er sich auch hinsichtlich der Qualität derselben gegenüber dem Konsumenten verantwortlich. Das alles kann aber nicht im beiderseitigen Interesse liegen.

VERBINDUNG ARBEIT-LEBEN

■ Verbindung oder Trennung von Arbeit und Leben?

Geschnitzte Balken am Futterhaus, Blumenkistl an den Stallfenstern, schön verzierte Riemen bei den Kuhglocken, ja die ganze bauliche Verbindung zwischen Wohnhaus und Futternaus mit Stall und so weiter sind Beispiele der engen Verbindung zwischen Schönem und Nützlichem, zwischen Beruf und Leben. Sie sind ein wesentlicher Bestandteil unserer bäuerlichen Lebenskultur und es sollte das Ziel sein, auch in anderen Berufs- und Lebensbereichen diese Verbindung wieder mehr zu fördern, weil sie einfach lebens- und damit menschengerechter ist. Je einseitiger, je spezialisierter bäuerliche Betriebe werden und je mehr die Arbeitslast zunimmt, umso mehr geht die Verbindung von Arbeit und Leben verloren.

■ Den Generationen oder nur sich selbst verpflichtet?

Ein Hof ist nicht nur eine Produktionsstätte, wie etwa eine Fabrik, sondern auch eine Lebensstätte. Generationen haben hier gelebt und gearbeitet. Eine gute bäuerliche Lebenseinstellung fühlt sich sowohl vergangenen wie künftigen Generationen gegenüber verpflichtet. Im Gegensatz dazu hat sich heute außerhalb der Landwirtschaft vielfach ein Lebensstil entwickelt, der den Eindruck erwecken läßt, als ob wir die letzte Generation auf diesem Planeten wären.

■ Die Natur als Lebensschule:

Sie lehrt uns eigentlich am unmittelbarsten, daß man nur verbrauchen kann, was man vorher erzeugt hat. Sie lehrt uns, daß man nicht gleich alles haben kann, daß man hegen und pflegen, Zeit zum Wachsen geben muß, bevor man nehmen und haben kann. Sie lehrt uns tägliche gewissenhafte Pflichterfüllung in der Betreuung der Tiere, im zeitgerechten Säen und Ernten. Wenn nun der Landwirt als Folge einer falschen EU-Agrarpolitik immer mehr zum Antragswirt wird und zum Beispiel mit der Flächenstillegung auch das Einkommen verbessert werden kann (statt mit weniger Chemieaufwand bei der Produktion und einer sachgerechten Fruchtfolge) wird lebensbezogenes Denken immer mehr in Frage gestellt.

Was muß geschehen? Damit das bäuerliche Wirtschafts- und Lebens und damit auch Orientierungsmodell für die gesamte Gesellschaft erhalten bleibt, ist großer Handlungsbedarf erforderlich.

■ Jedem Konsumenten muß noch deutlicher als bisher bewußt werden, daß er mit jedem Lebensmittel, das er in seinen Einkaufskorb gibt, einen Stimmzettel für oder gegen die Erhaltung der obgenannten Art der Landwirtschaft abgibt.

■ Den Bauern muß klar werden, daß sie ihre wirtschaftliche Existenz dann am ehesten sichern können, wenn sie durch die Art ihres Wirt- schaftens überzeugen können, daß ihre Erhaltung mindestens in gleichem Maß auch im Interesse der nichtbäuerlichen Bevölkerung liegt.

■ Den Politikern muß bewußt werden, daß die derzeitige Hauptstoßrichtung der EU-Ägrarpolitik (heuer 500 Milliarden Schilling für die Übersehußverwertung) ein Irrweg ist und daß es ihre Aufgabe ist, mit allen Kräften darauf einzuwirken, daß einer umweltgerechten Landwirtschaft auch der EU-Bud- get-Vorrang gegeben werden muß.

Der Autor ist Geschäftsführer des Studienzentrums für Agrarökologie in Innsbruck.

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