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Bauern bleiben Außenseiter

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Landwirtschaftsminister Dr. Oskar Weihs sah in den vergangenen Wochen weniger das hoffnungsvolle Rot der geschickt taktierenden Minderheitsregierung, sondern das wesentlich unerfreulichere Weiß des steigenden Milchstroms in die Molkereien. Trotz eines um rund 58.000 Stück verminderten Milchkuhbestandes stieg nämlich die Milchmarktleistung im heurigen Jahr um rund 6,5 Prozent im Vergleich zum ersten Halbjahr des Jahres 1969 an, und der „weiße Strom“ in den Molkereien ist auf wöchentlich etwa sieben Millionen Liter angeschwollen. Für diese Entwicklung ist aber im Agrarbudget 1970 nicht vorgesorgt. Die vorgesehenen 1,8 Milliarden Schilling für die Finanzierung der Milchmarktordnung reichen daher nicht aus, es werden weitere 312 Millionen Schilling zur Abdeckung des Defizits im Milchwirtschaftsfonds, für die Milchpreisstützung und die Absatzförderung noch in diesem Jahr notwendig sein. Wo aber, fragte sich der Landwirtschaftsminister, nehme ich das Geld her, ohne es dem Finanzminister stehlen zu müssen? Dr. Oskar Weihs, ein anerkannter Mildwirtschaftsfachmann, brauchte aber nicht lange zu grübeln, um auf jene Regelung zu stoßen, deren sich auch sein ÖVP-Vorgänger, Dr. Karl Schleimer, mit einigem Erfolg bediente. Erhöhung des Absatzförderungsbeitrages lautete die Zauberformel für das Budget, Steigerung des Krisenfonds verstehen darunter die erzürnten Bauern. Die flexible Handhabung des von den Bauern schon in der Schleinzer-Ära bekämpften Krisengroschens für die Überschußwertung hat aber trotz aller Anfeindungen den einen Vorteil, daß den Bauern im Rahmen der derzeitigen Marktordnung ein zwar verminderter, aber immer noch sicherer Milcherlös garantiert wird.. Andere Regelungen hätten ein Chaos heraufbeschwören können. Aus diesem Grunde erhoffte sich Landwirtschaftsminister Dr. Weihs auch die Zustimmung des Bauernbundes, denn an einer einvernehmlichen Lösung mit der bäuerlichen Interessens-vertretung wäre der sozialistische Agrarfachmann sehr interessiert gewesen. Diese Rechnung ging aber nicht auf. In zahlreichen Verhandlungen mit der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs konnte keine gemeinsame Sprachregelung gefunden werden, wobei die politische Taktik auf beiden Selten blühte. Die „Milchgipfelgespräche“ im BundeAmlniste-rium für Land- und Forstwirtschaft beherrschten alsbald die gesamte Innenpolitik und verzögerten für den geplagten Minister und die strapazierten Agrarfunktlonäre den längst fälligen Urlaubsantritt. In den Massenmedien wurde dem „Milchkrieg“ breiter Raum gewidmet, und dieses Thema überflügelte sogar die Popularität der leidigen Diskussion um die Reform des Bundesheeres.

Es fehlte im Rahmen der zahlreichen Gespräche zwischen dem Minister und den bäuerlichen Inter-essensvertretuhgen nicht an Vorschlägen, wohl aber an Lösungen unter Berücksichtigung der budge-tären Situation. Der Bauernbund blieb hart: Es wurde eine Preisrelation von 1 :7,5 zwischen Milch- und Fleischpreis gefordert, um den Umstellungsprozeß auf die Flelscherzeu-gung zu beschleunigen, den Schlachtrinderexport und die Rationalisierung in den Molkereien zu forcieren sowie eine von Marketing-Fachleuten konzipierte Werbung für den Absatz der Milchprodukte zu fördern. Vorschläge, die auch der Landwirtsciiaftsminister unterstützte, deren Verwirklichung aber seine budgetäre Not kurzfristig nicht vermindert hätte. Dem Einwand Dr. Weihs' — auch sein Vorgänger, Dr. Schleinzer, war im Jahre 1968 gezwungen, den Krisengroschen zu erhöhen — wurde nicht stattgegeben, aber statt dessen wurden Protestaktionen in Form einer Aufklärungskampagne angekündigt, schließlich wurde erbost festgestellt, es gehe nicht an, daß der Landwirtschaftsminister die Einkommen für eine mehrheitlich nicht sozialistische Berufsgruppe vermindere. Der massive Widerstand war schließlich auch dafür ausschlaggebend, daß Landwirtschaftsminister Dr. Weihs erst in der Vorwoche, nach dem letzten Vieraugengespräch mit dem Vorsitzenden der Präsidentenkonferenz, Doktor Lehner, den Krisengroschen von 7 auf 19 Groschen erhöhte. Diese Maßnahme bedeutet, daß die 200.000 Milchbauern im kommenden Halbjahr um etwa 130 Millionen Schilling weniger Erlös aus der Milchproduktion haben werden. Der Bauernbund quittierte diese Entscheidung des Landwirtschaftsministers mit einer friedlichen Protestaktion, indem in Wien gratis Milch-packerln verschenkt und der Bevölkerung eine Aufklärungsschrift überreicht wurde. Daß aber gleichzeitig von der Bundesregierung die Umsatzsteuer für Margarine gesenkt werden soll, was dem Bund jährlich etwa 90 Millionen Schilling kostet, läßt die Kritik des Bauernbundes auch verständlich erscheinen. Der Minister holte sich für diese unpopuläre Maßnahme aus verständlichen Gründen die Rückendeckung seines Kanzlers, nicht ohne sich vorher einer vom Allgemeinen Bauernverband, der sich von seiner Wahlschlappe in Niederösterreich wieder erholt hat, organisierten Diskussion mit Landwirten aller politischen Couleurs in Gutenstein zu stellen.

Mit der Erhöhung des Krisengroschens setzte sich Landwirtschaftsminister Dr. Weihs sogar über die Bauernorganisation seiner Partei, den sozialistischen Arbeitsbauern-bund, hinweg, der die glücklose Forderung erhob, eine Kuhabschlach-tungsprämie einzuführen, ein Vorschlag, dessen Verwirklichung in der EWG bisher keine befriedigenden Erfolge zeitigte und den der Minister verständlicherweise strikte ablehnen mußte.

Die agrarpolitische Bilanz des sozia-litischen Minderheitskabinetts ist für die Landwirte allerdings nicht sehr ermutigend. Trotz ständig steigender Betriebsmittelkosten wurde nicht nur der Milchpreis gesenkt, sondern auch der Kali-Düngerpreis erhöht. Auch der Forderung der Weinbauern, die zehnprozentige Weinsondersteuer ., abzuschaffen, wurde bisher nicht entsprochen. Die Verhandlungen mit , dem Finanz-minister brachten jedenfalls kein Ergebnis.

Ein Ergebnis erhofft man sich aber von dem im Bundesministerium angelaufenen Gesprächen über die Neuordnung des Landwirtschafts-- nd Marktordnungsgesetzes, deren Gültigkeit Ende des Jahres ausläuft. Doch auch diese Gespräche werden nicht reibungslos über die Bühne gehen, und in Anbetracht der kurzen Zeit, die zur Verfügung steht, scheint es fast fraglich, ob wirklich bis Jahresende ein modernes und der Situation der Zeit angepaßtes Marktordnungs- und Landwirtschaftsgesetz zustande kommt. In der kurzen Zeit, in der die SPÖ, erstmals in der Zweiten Republik, auch für die Agrarpolitik Verantwortung zu tragen hat, mußte sie bereits erkennen, daß die in der Regierungserklärung Dr. Kreiskys für die Bauernschaft angekündigte Einkommensverbesserung ein schwieriges, wenn nicht überhaupt unlösbares Versprechen darstellt. Die Bauernschaft ist aber die letzte gesellschaftliche Gruppe, deren politische Stabilität sich mit der Instabilität ihrer Zukunftchancen geändert hat. Eine Tatsache, die auch die ÖVP bei den Wahlen am 1. März so bitter zur Kenntnis nehmen mußte. Die Agrarpolitik, egal von welcher Partei sie verantwortet werden muß, bedarf daher einer Entmythologisie-rung. Unabhängig von detaillierten Überlegungen müssen die allgemeinen agrarwirtschaftlichen Entwicklungstendenzen klar gesehen und die daraus zu ziehenden Konsequenzen nicht hinausgeschoben werden. Die vor allem in der EWG ausgelöste Hysterie von Programmen, welche auch in Österreich die agrarpoliti-schen Formulierungen stark beeinflußten, beunruhigen die Bauernschaft. Eine- Antwort auf ihre Zukunftschancen wurde immer noch nicht, und wenn, dann unklar, gegeben. Die Bauern bleiben also weiterhin Außenseiter in der prosperierenden Industriegesellschaft.

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