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Die Lösung kommt nicht von der Milch allein

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Alle sprechen vom Wachstumsproblemen, doch das Wachsen von Defiziten verläuft hierzulande offensichtlich noch ohne größere Schwierigkeiten. Daß das Defizit in der Außenhandelsbilanz von 1976 (54 Milliarden Schilling) auf 1977 (73 Milliarden Schilling) drastisch gestiegen ist - gleichzeitig das Defizit in der Leistungsbilanz (da der Fremdenverkehr schon seit 1970 die Verluste nicht mehr ausgleichen kann) -, hat sich längst herumgesprochen. Nun stand kürzlich - bei der Wintertagung der österreichischen Gesellschaft für Land- und Forstwirtschaftspolitik - der land- und forstwirtschaftliche Anteil am Handelsbilanzdefizit zur Debatte - samt den Möglichkeiten, hier Verbesserungen herbeizuführen.

Dr. Hans Korbl, stellvertretender Generalsekretär der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern Österreichs, legte dabei alarmierende Zahlen vor: Demnach ist das Defizit in der agrarischen Außenhandelsbilanz von 5,95 Milliarden im Jahre 1970 auf 13,74 Milliarden Schilling im Jahre 1977 angewachsen, einer Einfuhrmenge im Wert von 20,21 Milliarden Schilling standen im Vorjahr Exporte im Wert von lediglich 6,47 Milliarden gegenüber. Besonders verschlechtert hat sich die Bilanz gegenüber der EG, wo in den Jahren 1970 und 1971 minimale Defizite, 1972 sogar ein Plus von 370 Millionen zu verzeichnen waren, heute aber ein Minus von 5,13 Milliarden Schilling zu Buche steht.

Die Schuld an dieser unerfreulichen Entwicklung gibt der Vorsitzende der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern, Dr. Hans Lehner, der Regierung: „Trotz unserer eindringlichen Warnungen sind die Interessen der Landwirtschaft im EWG-Vertrag zuwenig abgesichert worden. Wir haben den für uns bis dahin wichtigsten Milchmarkt, England, ersatzlos und unwiederbringlich verloren. Während wir früher fast 100 Prozent unserer Schlachtviehexporte in die EWG abgesetzt haben, sind es heute nur an die 15 Prozent. Und nun droht uns seitens der EWG eine neue schwere Gefahr, und zwar für unsere Zuchtrinderexporte, welche durch die Novellierung der EWG-Rindermarktordnung in Frage gestellt sind.“ Gewisse Ansätze der Regierung, das Ruder in der agrarischen Handelspolitik herumzureißen, sieht Lehner im Mindestpreisabkommen bei Käse mit der EWG und im Bemühen, eine heimische Fettversorgung aufzubauen.

Das Rezept, um die Situation zu bessern, klingt einfach: Importe verringern, Exporte erhöhen. In der Praxis ergeben sich allerdings gewaltige Schwierigkeiten, passen doch beispielsweise, wie Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Hans Köttl betonte, bei unseren traditionellen Exportgütern Inland-und Weltmarktpreise nicht zusammen. Außerdem ist eine Substitution eingeführter Produkte nicht immer möglich oder wirkt sich negativ auf den Preis für den österreichischen Konsumenten aus. Trotzdem dürfte gerade ein hoher Grad an Selbstversorgung auf dem Ernährungssektor nicht als Rückfall in Autarkie oder Protektionismus abgetan werden, sondern müßte unter dem Aspekt betrachtet werden, daß ein neutraler Staat (die Schweiz und Schweden haben uns hier einiges voraus) geradezu die Verpflichtung hat, vom Ausland in politischer und damit auch in wirtschaftlicher Hinsicht unabhängig zu sein. Diese wirtschaftliche Landesverteidigung sollte selbstverständlich sein und wäre auch auf dem Energiesektor wünschenswert.

Auf der Importseite hält Köttl Einsparungen durch Substitution in der Größenordnung von etwa 2 bis 2,5 Milliarden kurz- beziehungsweise mittelfristig für realistisch. Seiner Meinung nach, die von vielen Agrarexperten geteilt wird, könnten vor allem die Einfuhren von Pflanzenfetten und öl-schroten, von Kalbfleisch, Geflügelfleisch und Eiern (samt (Eipräparaten) und diverser Obst- und Gemüsearten durch künftige Inlandserzeugung stark reduziert werden. Produkten des Obst- und Gemüsebaus gibt Köttl sogar gute Exportchancen für die Zukunft Was die Ausfuhren betrifft, scheint ihm die Konstruktion langfristiger Exportfinanzierungsfonds für eine Reihe wichtiger Agrarprodukte „erwägenswert“.

Generalsekretär Dr. Ernst Brandstätter von der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern sieht durch die schlechte Außenhandelsbilanz Gefahren für die Versorgung der österreichischen Bevölkerung aus der inländischen Produktion und für die Einkommensmöglichkeiten und Tausende Arbeitsplätze in der Land- und Forstwirtschaft und fordert eine Chancengleichheit mit anderen Wirtschaftssparten in Österreich, aber auch mit jenen Staaten, mit deren Landwirtschaft Österreichs Bauern in Konkurrenz stehen. Tatsächlich behandelt ja beispielsweise das Lebensmittelgesetz in Österreich erzeugte Produkte viel härter, was die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Erzeugnisse schmälert.

Mit der Konzentration auf einen einzelnen Bereich - die Milch - dürfte Landwirtschaftsminister Haiden jedenfalls kaum Erfolg haben. Die von ihm angestrebten Änderungen beim Milchkrisengroschen und die Einführung .einer einzelbetrieblichen Milchkontingentierung würden die Handelsbilanz kaum entlasten, aber vor allem den auf die Milch angewiesenen Berg- und Grünlandbauern große Nachteile bringen. Dr. Klaus .Wejwoda vom Milchwirtschaftsfonds glaubt auch nicht ganz an das Zustandekommen dieser Kontingentierung und verweist auf die schlechten Erfahrungen in der Schweiz, wo anläßlich einer solchen Maßnahme ein Fünftel der Bauern Berufung einlegte. Daß die Milchbauern sich mit der Zeit - soweit möglich - auf andere Produkte umstellen sollen, ist klar, dürfte aber ohne Absicherung durch staatliche Förderung zu viel verlangt sein. Hier ist zweifellos ein umfassenderes Konzept nötig.

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