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Es geht um die Kuh

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Dem Bauern von 1968 ist ebensowenig eine Wirtschaftsführung mit der Kuh der Type 1930 zuzumuten wie dem Autofahrer etwa die Vorschrift, nur ein Vehikel aus der Zeit vor 40 Jahren benutzen zu dürfen. Hier wie dort haben wir es mit dem gleichen Problem zu tun, nämlich mit der wissenschaftlich und technisch bedingten Leistungssteigerung, die an die Stelle des Mangelproblems das Uberschußproblem gesetzt hat.

An der Suventionierung aber des Flugverkehrs, bestimmter Industrien usw. nimmt man keinen Anstoß. Die Kuh hat dagegen als lebendes Wesen das Pech, die Gemüter in Unruhe zu versetzen, weil sie dem Auftrag nach ausreichender Versorgung der Menschheit mit einem Grundnahrungsmittel Folge geleistet hat. So ist in Österreich die durchschnittliche Jahresproduktion pro Kmh von 1346 Kilogramm Milch im Jahre 1947 auf 2915 Kilogramm im Jahre 1966 gestiegen. Sie hat sich also in 20 Jahren mehr als verdoppelt. Es gibt jedoch heute schon Kühe, die 10.000 Kilogramm Milch im Jahr liefern, und Länder mit einem Durchschnitt von mehr als 5000 Kilogramm pro Kuh. Die EWG hat trotz sehr schlechter Kuhbestände in einigen Gebieten 1966 schon eine Durchschnittsproduktion von 3253 Kilogramm pro Kuh erreicht.

Hohe Politik

Die Kuh ist imstande, auch die hohe Politik zu beeinflussen. Es könnte sogar sein, daß sie in der nächsten Zeit in Europa recht unangenehme außenpolitische Folgerungen hervorruft, denn das England der sozialistischen Regierung Wilson legt aus Gründen der Deviseneinsparung Wert auf eine Steigerung der Selbstversorgung. Man nimmt an, daß der kommende englische Grüne Plan (Price Review), der diesmal bereits in der ersten Märzhälfte fertiggestellt sein soll, Kürzungen dar Butterimporte bringen wird. Das kann die Dänen treffen, aber auch Frankreich, Holland und Belgien, die immerhin im Wirtschaftsjahr 1967/68 eine englische Butterimport- quote von 26.777 Tonnen zugestanden erhielten. Kürzungen der englischen Importe vom Kontinent könnten nur allzu leicht nicht nur zu weiteren Überschußschwierigkeiten auf dem Kontinent, sondern auch zu Konflikten innerhalb der EFTA und zu einer weiteren Abkühlung zwischen England und der EWG führen. Anderseits sdnd die englischen Lagerbestände an Butter im Februar bereits auf 85.000 Tonnen gestiegen und setzen London unter Druck. Zugleich stellen die Irländer, deren Vorräte demnächst 19.000 Tonnen erreichen werden, an England die Forderung, größere Mengen an Butter aus Irland zu beziehen.

Mangel und Überschuß

Als unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg die allgemeine Ansicht der Ernährungsstrategen dahin ging, daß die damals herrschende Fettlücke in der Welt niemals zu schließen sein werde und in eine Ernährungskatastrophe münden müsse, hat niemand diese Entwicklung zu einem Überschußproblem vorausahnen können. Die Frage ist allerdings, ob dieses Überschußproblem nicht sehr kurzfristig und regional ist. Wo heute Überschuß erscheint, kann also morgen wieder bitterer Mangel herrschen, und es ist daher sehr fraglich, ob man die wirtschaftspolitischen Entscheidungen unter langfristigen und globalen oder unter kurzfristigen und regionalen Gesichtspunkten treffen soll.

Dieser Meinung scheint man zum Teil auch in Kreisen der EWG zu sein. Audi dort hat sich die Produktion an Milch und Milcherzeugnissen zu einer sehr entscheidenden Frage entwickelt. Bis zum 1. April 1968 soll die neue Milchmarktordnung der EWG fertig sein, aber die im Jänner begonnenen Beratungen haben bis jetzt nicht mehr als ein sehr hartes Aufeinanderprallen der Meinungen gebracht. Symbol des Problems ist auch hier die Butter, denn die Lagerbestände dürften bis zum 1. April eine Menge zwischen 130.000 und 150.000 Tonnen erreichen und allein in der Bundesrepublik zwischen 50.000 und 60.000 Tonnen betragen

Vorschläge gibt es in Brüssel zui Losung dieser Frage Dutzende, die sich allerdings auf wenige Kernpunkte reduzieren lassen. Die Deutschen beziehen keine klare Stellungnahme und schieben die Argumente zwisdien Plänen zu einer Verbrauchserhöhung und einer Mengenregelung hin und her.

EWG-Vizepräsident Mansholt, der große Agrarpolitiker der EWG, hat die Absatzförderung auf seine Fahnen geschrieben. Unter dieser Devise propagiert man teils langfristige, teils kurzfristige Maßnahmen, wie die Erhöhung des Fettgehaltes der Konsummilch, die Beimischung von Butterfett zum Viehfutter, die Ver- fütterung von Vollmilch, die Herstellung von Butterschmalz zur besseren Konservierung, die verbilligte oder kostenlose Abgabe von Mildh und Milchprodukten für soziale Zwecke, an Militärverwaltungen und vor allem für die Entwicklungshilfe. Mit den auf die Verbrauchserhöhung gerichteten Vorschlägen gehen parallel Pläne zur Vergabe von Prämien für die Schließung von bäuerlichen Kleinbetrieben bis zu fünf Kühen vor (in Österreich kommen im Bun- desdurchschnitt auf jeden kuhhaltenden Betrieb nur vier Kühe).

Die andere Seite

Frankreich, Italien und Luxemburg treten für eine völlig andere Lösung ein. Frankreich steht auf dem Standpunkt, daß der Milch- und Butterüberschuß in Europa eine vorübergehende Erscheinung ist, weil die Leistungssteigerung bei der Kuh nicht mit der Bevölkerungszunahme Schritt halten wird. Nach französischer Ansicht wird Europa ab 1985 darauf angewiesen sein, aus Übersee Butter zu importieren. Tatsächlich wäre eben weder die EWG noch ganz Kontinentaleuropa schon heute in der Lage, den Importbedarf Englands an Butter in Höhe von fast einer halben Million Tonnen jährlich zu decken. Die Franzosen, an ihrer Spitze Landwirtschaftsminister Faure, verlangen daher, daß die Weihnachten 1963 vom EWG-Mlni- sterrat bereits fest beschlossene Margarinesteuer in Kraft gesetzt werde. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß bei einem Fettbedarf der gesamten EWG von fünf Millionen Tonnen pro Jahr ein Butterüber- sdiuß von 150.000 Tonnen nur 3 Prozent des Bedarfs, also eine Lappalie darstellt. Da die EWG pro Jahr 2,5 Millionen Tonnen Pflanzen- und Seetierfett importiert, ist der Butterüberschuß durch eine geringe Reduzierung dieser Riesenimporte leicht unterzubringen. Diese Auffassung richtet sich vor allem gegen Holland, das pro Jahr und Kopf 20 Kilogramm Margarine gegenüber 3,6 Kilogramm Butter verbraucht und damit den Rekord an Margarineverbrauch und -erzeugung hält. In Frankreich beträgt der Margarineverbrauch dagegen nur 3,1 Kilogramm gegenüber 16,6 Kilogramm Butter und Speiseöl pro Kopf und Jahr, Italien konsumiert sogar nur ein Kilogramm Margarine pro Kopf gegenüber 14,1 Kilogramm Speiseöl. In der Bundesrepublik entfallen auf den Kopf 7,1 Kilogramm Butter und 3,7 Kilogramm öl gegenüber 8,6 Kilogramm Margarine. Deutschland und Holland weigern sich strikte in Brüssel, die Margarineverteuerung mitzumachen, Frankreich rechnet jedoch vor, daß dadurch jährlich 350 Millionen D-Mark (rund 2,3 Millionen Schilling) hereinkämen, die den EWG-Bauern zugute kämen. Nach den Erfahrungen in der EWG ist anzunehmen, daß sich die französischen Überlegungen durchsetzen, zumal Italien zu verstehen gegeben hat, daß es nicht nur die französische Auffassung restlos unterstützt, sondern auch in keiner Weise für fremde Überschüsse Leistungen zu erbringen gedenkt.

Es ist nicht uninteressant, in diesem Zusammenhang auch noch die Regelungen in der Schweiz zu erwähnen, wo man, obwohl das Land viel kleiner als Österreich ist, zur Zeit einen Butterüberschuß zwischen 9000 und 10.000 Tonnen besitzt. In der Schweiz sucht man das Problem mehr als in der EWG von der Budgetseite her anzupacken, indem man die gesetzlichen Subventionen bei einer bestimmten Höhe zu plafondde- ren beabsichtigt. Gleichzeitig sollen erhöhte Abgaben für Billig- und Dumpingimporte von Milchprodukten eingeführt werden, um die ausländische Konkurrenz einzudämmen.

Überprüft man die verschiedenen Vorschläge — echte Maßnahmen zur Änderung sind einstweilen noch wenige gesetzt worden —, so kommt man zu dem Schluß, daß dieses ganze Problem des sogenannten Milch- und Milchproduktenüberschusses zumindest in Europa nur deswegen besteht, weil es in Europa auf diesem Sektor keinen freien Markt gibt. Man hat es nur mit einer europäischen Konkurrenz der Suventionen und sogar der Dumpingmaßnahmen zu tun, an denen sich ebenso die EWG wie neuerdings auch die Ostblockländer beteiligen, wozu noch fast grenzenlos subventionierte Butterangebote aus den USA kommen.

Man sollte aber die Hoffnung auf eine überraschende Lösung nicht fahren lassen: Vielleicht bringen die „Kauf- und Lieferverträge” für bestimmte Agrarprodukte in der neuerdings von Bonn und Paris gemeinsam geplanten, einstweilen noch recht geheimen Großen Europäischen Freihandelszone einen Agrarmarkt, den wir heute noch nicht zu erträumen wagen.

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