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Darf man die Kirche kritisieren?

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Ein Einfallsreicher verglich einmal die Abschnitte der Kirchengeschichte mit den entscheidenden Abschnitten des Menschenlebens und schloß, die Kirche sei demnach nun gewissermaßen in ihrem zwanzigsten Lebensjahr, einem Alter also, in dem auch ein junger Mensch sich erstmals bewußt als Glied einer größeren Gemeinschaft erkennt, sein Leben als Zeitablauf, als geschichtlich erfährt, sich einordnen lernt, das Gespräch mit der Umwelt aufnimmt — und selbstkritisch wird. Fachleute mögen diesen Vergleich als leichtfertigen Journalismus abtun, Tatsache aber ist, daß sich die Kirche gegenwärtig von ihrer Spitze bis zum Fußvolk, ja bis über die eigenen Mauern hinaus, oder wenn man ein weniger hierarchisches Bild bevorzugt: vom Konzil bis zu Heinrich Bolls vielumstrittenem „Clown“, Carl Amerys pamphletistischer „Kapitulation“, ja Rolf Hochhuts „Stellvertreter“, in einem Stadium geradezu leidenschaftlicher Selbstkritik und -ana-lyse befindet.

Spricht die lehrende Kirche die Sprache dieser Welt, das heißt, kann sie sich noch verständlich machen? Sind Sprache und Symbolik ihres Kultes für den modernen Menschen Hilfe oder Hindernis zum Verständnis des Mysteriums? Wieweit hat das Amt sich von seiner evangelischen Dienstfunktion entfernt? Soll sich der Christ in der Gesellschaft, im öffentlichen Leben engagieren? Wieweit? In welcher Form? Wo und wo nicht? Soll die Kirche — die beamtete oder die nichtbeamtete — ihre Stimme in der Diskussion über sozialpolitische, wirtschaftspolitische, weltpolitische Fragen erheben? Dies sind nur einige von den vielen Fragen, die sich die Kirche gegenwärtig stellt, nicht nur Papst und Bischöfe, sondern die Gemeinschaft der Getauften, in ihr aber wieder die ehrlich Besorgten und Betroffenen, die Kritikaster und die insgeheim Schadenfrohen. .

Und so kann es nicht ausbleiben, daß auch die Frage gestellt wird: Ist Kritikarr der Kirche überhaupt zulässig? Wo sind ihre Grenzen? Sie wurden kürzlich auf einer Tagung der Katholischen Akademie Bayerns von Professor Korl Rahner und Professor Otto Semmelroth eingehend erörtert — das Folgende ist im wesentlichen eine Wiedergabe der von ihnen geäußerten Meinungen.

Sichtbarkeit und Geschichtlichkeit

Die Kirche wurde von Christus als sichtbare der Welt eingestiftet. Da sie sichtbar ist, kann man auch mit Fingern auf sie weisen, das ist nur eine logische Folge. Wie ihr göttlicher Stifter die Knechtsgestalt annahm und sich der Kritik aussetzte, so ist die Kirche in der Welt der Kritik ausgesetzt — nicht weil es der bösen Welt so gefällt, sondern weil dies schon in ihrem Geheimnis selbst begründet ist. Kirche in der Welt heißt aber Kirche getragen von Menschen einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Kultur und Zivilisation, einer bestimmten Mentalität, eines bestimmten Milieus. Kirche muß

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