Als Resultat einer Verschmelzung östlicher und westlicher Elemente wird des öfteren die byzantinische Kultur bezeichnet. In das schier unübersehbare Meer byzantinischer Formen sind im Verlauf vieler Jahrhunderte ungezählte Bäche geflossen, reich an Ablagerungen aus anderen kulturellen Zonen und Zeiten. Der steife hieratische Stil der Byzantiner verdankt vieles dem syrischen Kulturbereich. Der Tempel der palmyrischen Götter in Dura am Euphrat ist eine jener Komponenten, in der sich die Beziehungen zweier Kulturgeschichten überschneiden. Überhaupt scheint der Zentralbau aus Syrien eingebürgert worden zu sein. Die Kuppel, vollendete Krönung eines Baues, mag den Weg von Syrien über Armenien genommen haben. Syrisch ist auch die Kunst in den Felsenkirchen Kappadokiens: lange bibli sche Szenen an den Wänden — nicht selten aus apokryphen Texten sich biblisch nennender Bücher. In den labyrinthischen Gängen der Höhlenkirchen von Göreme hüllen sie sich in mystisches Dunkel: in der Tokmale oder Eimali Kilise, in der Sakli Kilise oder in der noch nicht lange freigelegten Johanneskirche. Ob in der landschaftlichen Abgeschiedenheit jener Eremitensiedlungen mitten in Kleinasien oder in der pulsierenden Großstadt am Gestade eines Weltmeeres, überall treten die Spuren syrischen Geistes in das Blickfeld des kunstsinnigen Beschauers. Im „byzantinischen Kern“ der Lagunenstadt Venedig, am Dom von S. Marco, sprechen kunstfertige Werke aus syrischer Zeit für sich: die sogenannte Kaisergruppe, vor allem aber die hervorragenden vorderen Säulen des Ziboriums, Originale aus dem 5. Jahrhundert.