Meine Damen und Herren! In die Fußstapfen meines Vorredners treten, hieße jaulen nach Athen tragen. Ich will deshalb, dem Gebot der Stunde folgend, gleich in medias res gehen und den Stier bei den Hörnern packen.Wie war es bisher? Wir glaubten zu schieben und wurden geschoben. Wir sahen weder das schleichende Gift, das die Wurzeln benagt, noch den Samen der Zwietracht, der die Brunnen vergiftet. Wir glaubten, ernten zu können, wo wir nicht gesät hatten, und dachten, uns flögen die gebratenen Tauben in den Mund.Der Herr aber gibt es auch den Seinen nicht im Schlaf; nur steter Tropfen
Deutschland ist seit jeher das Land der Uebersetzungen. Weil es im Herzen Europas liegt, sagte man früher — doch das stimmt ja nun nicht mehr. Um all die Uebersetzungen herzustellen, die so dringend benötigt werden, ist ein emsiges Völkchen am Werk: alte und mittelalte Damen, erfolglose Schriftsteller, junge Mädchen, Studienräte, intellektuelle Ehepaare. Sogar Verleger übersetzen mitunter — sie und ihre Freunde und Freundinnen, ihre Onkels und Tanten und Nichten, ihre geschiedenen Frauen, Aerzte und Steuerberater. Jeder kann es,-jeder tut- esr’Eine gewisse -Kermtnisfremder—
Legenden sind unzerstörbar. Sie sterben allenfalls von selber, indem sie vergessen werden, aber sie sind nicht zerstörbar. Es hat wenig genutzt, dafj man nachwies, die „Unbekannte aus der Seine“ sei nicht die Totenmaske einer jungen Selbstmörderin, sondern die Lebensmaske eines Mädchens um 1840. Der Geschäftstrick eines Berliner Kunsthändlers und das sentimentale Buch „Die Unbekannte“ von Reinhold Conrad Muschler waren stärker; sie woben eine neue Legende, die noch heute geglaubt wird. Vielleicht sollte man Legenden auch gar nicht zerstören, weil jede von ihnen dichter,
Es ist bekannt, daß die Polizei jeden Menschen für einen Uebeltäter hält — nicht gerade für einen tatsächlichen, wohl aber für einen möglichen Uebeltäter. Wer je auf der Polizei war (sagen wir: um sich anzumelden oder einen Stempel einzuholen), hat deutlich gemerkt, daß sie einem dort nichts glauben. Sie hören sich nachsichtig an, was man so vorbringt, sie überlesen flüchtig die Formulare, die man ausgefüllt hat, aber sie glauben das alles nicht. In ihren Augen glimmt ein spöttisches, skeptisches Lächeln, das uns wissen läßt: „Freundchen, bei dir stimmt etwas nicht. Du