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Der Übersetzer — ein Fährmann

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Deutschland ist seit jeher das Land der Uebersetzungen. Weil es im Herzen Europas liegt, sagte man früher — doch das stimmt ja nun nicht mehr. Um all die Uebersetzungen herzustellen, die so dringend benötigt werden, ist ein emsiges Völkchen am Werk: alte und mittelalte Damen, erfolglose Schriftsteller, junge Mädchen, Studienräte, intellektuelle Ehepaare. Sogar Verleger übersetzen mitunter — sie und ihre Freunde und Freundinnen, ihre Onkels und Tanten und Nichten, ihre geschiedenen Frauen, Aerzte und Steuerberater. Jeder kann es,-jeder tut- esr’Eine gewisse -Kermtnisfremder— Sprachen ist heute fast unvermeidlich wie ein Schnupfen, und was man auf Anhieb nicht weiß, steht im Lexikon oder auch nicht, das ist dann ärgerlich. Männer basteln Uebersetzungen, Frauen stricken sie wie Pullover oder Strümpfe. Die Früchte ihres Sitzfleißes erscheinen in Buchform und ihre Stilblüten, ihre Wortblasen werden dem ausländischen Autor angekreidet. Autoren aber sehnen sich nun einmal sosehr nach Weltgeltung, daß sie in der Wahl ihres Interpreten meist recht wahllos sind. Aus freien Stücken, arglos, kindlich, liefern sie sich einem Verräter aus, indem sie ihn „autorisieren".

Der Verleger befindet sich, was Uebersetzer angeht, in der Lage eines Monarchen, der den richtigen Instinkt für den richtigen Minister haben muß — müßte. Man kann von ihm füglich nicht verlangen, daß er sjfrachkundig sei, wohl aber, daß er einer Uebersetzung so obenhin anmerke, ob sie gut ist oder schlecht, ob sie das Original getreu nachbildet oder es völlig entstellt. Auch dies kommt vor und wird sogar gedruckt. Man wundert sich, daß die Zeitungen nie melden, ein Autor habe seinen Uebersetzer erschlagen. Zudem kann er sich ja — er, der Monarch — sprachkundige Berater halten; er sollte es sogar unbedingt tun. Denn: von wenigen Meistern abgesehen, verdient jeder Uebersetzer großes Mißtrauen. Man muß seine Heimarbeit, seinen Hexenküchentrank überprüfen und nach Möglichkeit auch den Ueber- prüfer überprüfen lassen. Erst dann, nach doppelter oder dreifacher Filterung, besteht gute Aussicht, daß dem Leser ein naturreines Getränk vorgesetzt wird — ohne Anglizismen „So lange, seit wir uns nicht sahen“, ohne Surrealismen „M. hatte nicht bedacht, wie dem Löwen zumute war, als er aus dem Auto stieg“, ohne Idiotien „Sein Kopf fing zu weit oben an".

Der Uebersetzer ist ein Fährmann, der einen Nachen mit literarischer Fracht von einem Sprachufer zum anderen bringt. „Hol über!“ ruft drüben ein ausländisches Buch, und der Fährmann bricht auf, nimmt den Fremdling an Bord und setzt ihn über. Was aber macht er unterwegs aus ihm? Beläßt er ihm seine Gestalt? Oder liefert er ein Zerrbild ab? Deutscht er ihn ein oder deutscht er ihn aus? Ist er seinem Fahrgast überhaupt gewachsen Ue-t: meinhin nimmt man an, der Uebersetzer müsse vor allem die jeweilige Fremdsprache beherr- sehen. Das ist Unsinn. Er muß vor allem die eigene Sprache beherrschen — alles andere findet sich in den Wörterbüchern oder bei hilfsbereiten Menschen und Fachleuten. Eine fremde Sprache „beherrscht“ ohnehin niemand, es sei denn, er habe sie mit der Muttermilch eingesogen, wie Adalbert von Chamisso oder Carlo Schmidt. Ich hörte, daß einige Uebersetzer von Rang nicht imstande sind, in der von ihnen so meisterlich übertragenen Sprache zu plaudern, und das finde ich ganz in Ordnung. Französisch oder amerikanisch zu plappern, akzentfrei, täuschend ähnlich, ist ein reines Papageientalent; man trifft es bei Sekretärinnen, Soldatenliebchen und jungen Männern, die gern chic oder smart erscheinen möchten.

Wie die fremde Sprache gesprochen wird, kann dem Uebersetzer ziemlich gleichgültig sein, denn er ist ja kein Dolmetscher, sondern eben ein Uebersetzer, kein Sprecher, sondern ein Schreiber. Ihm ist eine klare Aufgabe gesetzt: er hat genau festzustellen, was der Fremde sagt, wie er es sagt, und muß sich dann bemühen, es auf deutsch neu zu erschaffen, möglichst ähnlich, nicht aber unter Preisgabe der Schönheit und Intelligenz, die der deutschen Sprache wie jeder Sprache innewohnt. Das vermag nur ein Sprachmeister. Ihrer aber gibt es zu wenige — also ist man eben doch auf den Fleiß des obengenannten emsigen Völkchens angewiesen. Gut. Aber dann schalte man alle erdenklichen Kontrollen ein, damit die Leistung des übersetzerischen Kollektivs sich derjenigen des Meisters zumindest annähere.

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