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Strenge ohne Rohrstock

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Noch lebt die Generation, in deren Kindheitserinnerung sich der Vater Lehrer „mit dem Rohrstaberl“, der „mit den Fünfundzwanzig“, der Lehrherr „mit der Elle“ oft schreckhaft eingeprägt haben. Daneben lebt schoh die andere Generation, die den Vater als „das Schmuckstück der Familie“ besingt, die meint, Schulverordnungen hätten einzig den Zweck, disziplinäre Maßnahmen zur Farce werden zu lassen, und die sich aus dem Berufsschulunterricht lediglich das Kapitel über die gesetzlichen Forderungen des Lehrlings gegen den Meister merkt. Dazwischen steht die breite Masse von Erwachsenen, die angesichts der „heutigen Jugend“ und der naturhaften Pflicht, sie zu erziehen, ihre resignierende Hilflosigkeit kaum noch verbergen kann. th

Im Zuge einer erschöpfenden Untersuchung müßte eine Reihe von Faktoren angeführt werden, die zu dem gegenwärtigen Debakel in der Erziehung geführt haben.

Die tiefste Wurzel des pädagogischen Debakels liegt darin, daß man ganz allgemein die Strenge aus der Erziehung ausgeklammert hat. Im Sinne eines falsch verstandenen „Fortschritts“ Rousseauscher Prägung glaubte man, sie zum alten Eisen werfen zu können. Gewiß wurde die Strenge einst mißbraucht und bis zur Lächerlichkeit veräußerlicht.

Mißverstandene Strenge war zum Beispiel die „Amtskappel-Autorität“, der Versuch, bei der Jugend dienstliche Forderungen durchzusetzen, nicht weil man von ihrer Notwendigkeit überzeugt war. sondern weil sie der Dienst vorschrieb. Mißverstandene Strenge war der Deckmantel für die auch heute noch so beliebte Doppelmoral: „Quo licet Jovi non licet bovi’ — „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist nicht dem Ochsen erlaubt, und wehe, der Ochse übersieht das!“ Mißverstandene Strenge war und ist das Strafen aus einer ungezügelten Gemütsaufwallung heraus. Dieses Verhalten läßt den Gemaßregelten jenseits von Recht oder Unrecht nur mehr die höhere Macht fühlen, die es dem Träger erlaubt, seine Wut am Untergebenen auszulassen.

Persönlichkeit und Leistung!

Die Zeiten haben sich gewandelt. Sicher hat die Jugend schon immer ihre Erzieher mit staunenswerter Treffsicherheit durchschaut. Heute zieht sie auch noch ungeniert die Konsequenzen daraus. Vor der heutigen Jugend gilt unabhängig von der umgehängten Amtsautorität, von der Macht des Stärkeren oder gar dem bloßen Altersunterschied nur mehr die Autorität der überzeugenden Persönlichkeit und der Leistung. Heute kann es sich eben nur ein Charakter leisten, streng zu sein. Der muß aber auch streng sein — und er erzielt größere, nachhaltigere Erfolge als früher. Ihm „folgt“ die Jugend, nicht nur im Sinne von gehorchen, sondern im Sinpe von „nachfolgen“.

Die richtig verstandene S t i- e n g e besteht darin, daß der

Pädagoge mit konsequenter Gleichmäßigkeit seine Forderungen stellt und an deren Erfüllung mit unnachgiebiger Energie arbeitet. Selbstverständlich muß er selbst es in der Erfüllung schon weiter gebracht haben als der Jugendliche. Der schlechte Pädagoge möchte auch gerne Forderungen und

Erfüllung im Einklang sehen. Da er aber die Mühe schon bei sich selbst scheut, schraubt er einfach die Forderungen zurück, er wird nachgiebig und für jede Art von Selbstausreden anfällig. Der strenge Pädagoge weiß wohl — schon aus der Erfahrung an sich —, daß sich die Forderungen und die Erfüllung nie völlig decken werden. Ihm bleibt daher immer noch im begründeten Einzelfall die Möglichkeit offen, seine Strenge durch Klugheit und Geduld zu mildern. Dem schlechten Pädagogen bleibt nur noch die Charakterlosigkeit, um im Einzelfall seine praktisch nicht vorhandenen Forderungen noch zu unterbieten. Ihm gegenüber wird der Jugendliche unverschämt, denn er besitzt die natürliche Tendenz zur Grenzenlosigkeit.

Nicht Worte — Taten!

Vielleicht hat man allzu lange die

Methode, die für .die reine Wissensvermittlung gilt, auch in der Pädagogik angewendet. Für die rationelle Wissensvermittlung gilt das Belehren durch Worte, das Einüben seitens des Jugendlichen und das Prüfen des Erfolges. Für die Pädagogik ist diese Methode völlig unbrauchbar. Hier gelten Worte nichts, mögen sie noch so drohend oder wütend ausgesprochen sein, hier gilt nur die Konsequenz (das heißt Folgerichtigkeit) der Taten. Wohl werden die Taten auch durch Worte begleitet und erklärt, begründet werden sie aber durch die Überzeugung von der Notwendigkeit der Forderung und Erfüllung. Hier wird auch nicht durch Memorieren dürch Lesen oder Schreiben geübt, hier übt der Jugendliche zunächst überhaupt nicht allein.

Die Jugend ist sehr streng in ihren naturhaften Ansprüchen, daher hat auch der Erwachsene streng zu sein in der Erfüllung seiner naturhaften Pflichten der Jugend gegenüber. So ist es kein Wunder und eine alte Erfahrung, daß strenge Pädagogen im Moment nicht gerade,, beliebt, dann aber für immer geachtet sind.

Der gesellschaftliche Aspekt

Die Strenge hat noch einen letzten Aspekt, den gesellschaftlichen. Erziehung vollzieht sich ja nicht in isolierten Einzelbezügen. Auch das allgemeine Klima, wie es von den Erwachsenen bestimmt wird, hinterläßt beim Jugendlichen einen sehr nachhaltigen Eindruck. Leider hat der strenge Pädagoge gegen das zur Zeit herrschende „Klima“ immer noch einen ständig gefährdeten, ja angegriffenen Posten zu verteidigen. Seine eigene erwachsene Umwelt begegnet ihm in der Regel mit Unverständnis und dem „guten Rat“, doch alle Schwierigkeiten und Mühen (die eine verantwortungsvolle Erziehung nun einmal erfordert) tunlichst zu vermeiden. Jene Erwachsenen übersehen aber, daß ihre Welt, wie sie sich heute präsentiert, keinem Jugendlichen mehr zu imponieren vermag.

Die Orte der Erziehung, Familie, Schule, Lehre, sind die Übergangsforen von der kleinen Welt des Kindes zur großen Welt der Gesellschaft. Wenn man aber dem strengen Pädagogen hier schon angesichts der Jugend Schwierigkeiten macht, wenn — wie es oft vorkommt — die Mehrzahl der Erwachsenen die Strenge der wenigen zu relativieren und zu bagatellisieren sucht, so zieht der Jugendliche daraus die logische Konsequenz, daß Strenge, das heißt Charakter, unter Erwachsenen offensichtlich nicht gefragt ist. Er wird selbst vermeiden, zum Charakter heranzuwachsen, und die Gesellschaft von morgen wird noch charakterloser werden, als es die heutige schon ist.

Gott sei Dank mehren sich die Anzeichen dafür, daß die alte, aber richtig verstandene Strenge unter den heute Erwachsenen doch wieder mehr Anhänger findet. Wenn diese Entwicklung anhält, dann braucht uns um die Zukunft nicht bange zu sein.

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