An der Schwelle einer NEUEN ZEIT

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Drei Filme erzählen über Selbstbestimmung von Frauen - Marie Curie, Paula Modersohn-Becker, Loïe Fuller - zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

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Drei Filme erzählen über Selbstbestimmung von Frauen - Marie Curie, Paula Modersohn-Becker, Loïe Fuller - zu Beginn des 20. Jahrhunderts.

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Beinahe wöchentlich laufen neue Filme zu wahren Begebenheiten und über historische Persönlichkeiten in den Kinos an. Auffallend ist aber doch, dass nach dem Biopic über Lou Andreas-Salomé mit "Marie Curie", "Paula" und "Die Tänzerin" nun beinahe gleichzeitig drei weitere Filme starten, die Frauen in den Mittelpunkt stellen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts für ihre Unabhängigkeit kämpften. Dass sich Filmemacher und vor allem Filmemacherinnen gerade für bedeutende Frauen dieser Epoche interessieren, hat freilich durchaus seine Gründe.

Dramatisches Potenzial

Wurden Frauen trotz der Forderung nach Gleichheit im Zuge von Aufklärung und Französischer Revolution bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weitgehend vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, so wurde nach 1850 der Ruf nach dem Frauenwahlrecht, aber auch das Drängen einzelner Frauen nach einem selbstbestimmten Leben zunehmend lauter. Das dramatische Potenzial, das sich aus dem Zusammenprall zwischen diesem Bestreben und dem Machtanspruch der Männer ergibt, bietet sich für Kinogeschichten wiederum vorzüglich an. Gleichzeitig kommen auch die Zuschauerentwicklungen im Arthouse-Bereich diesen Filmen entgegen, sind doch gerade in diesem Segment Frauen mittleren Alters eine zahlenmäßig zunehmend wichtige Publikumsgruppe.

Die Konfliktfelder, die sich in Marie Noëlles "Marie Curie", Stéphanie Di Giustos "Die Tänzerin" und Christian Schwochows "Paula" ergeben, sind freilich ganz unterschiedlich. Während Schwochow auf die Emanzipation der Malerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907) von ihrem Mann fokussiert, zeigt Noëlle, wie Marie Curie (1867-1934) trotz eines Nobelpreises für Physik sich in der akademischen Männergesellschaft von Paris durchkämpfen muss. Bei "Die Tänzerin" wiederum ist es die Mutter, die einer christlichen Gemeinschaft von Antialkoholikern angehört, die Loïe Fuller (1862-1928) zunächst an der Verwirklichung ihrer künstlerischen Träume hindert.

Während sich Noëlle aber weitgehend an die Fakten hält und sich auf die Zeit zwischen der Verleihung der Nobelpreise für Physik (1903) und Chemie (1911) beschränkt, gehen Di Giusto und Schwochow aus dramaturgischen Gründen recht frei mit dem Leben ihrer Protagonistinnen um. So dichtet die Französin der Tänzerin eine harte Kindheit an, während Schwochow die mehrfachen Paris-Aufenthalte Modersohn-Beckers auf einen zusammenkürzt.

Rausch von Licht, Farbe und Bewegung

Wohl auch um die kulturelle Fallhöhe deutlich zu machen, setzt "Die Tänzerin" mit einer Szene im wilden amerikanischen Westen ein, in der Fullers Vater erschossen wird, sodass die junge Frau bei ihrer Mutter in New York Zuflucht suchen muss. Mit prägnanten, aber teilweise wohl fiktiven Szenen, die Fullers Entdeckung der Wirkung von Lichteffekten oder ihrer tänzerischen Berufung vermitteln sollen, zeichnet Di Giusto knapp ihren Weg ins Pariser Varietétheater Folies Bergère nach, wo sie mit dem von ihr patentierten Serpentinentanz in den 1890er-Jahren Triumphe feierte.

Kernstück des in der Hauptrolle von der Sängerin SoKo großartig gespielten Films sind diese Tanzszenen, die Di Giusto vielfach in einer langen ruhigen Einstellung filmt. Hier entfaltet "Die Tänzerin" dank Benoît Debies famoser Kameraarbeit und Carlos Contis großartiger Ausstattung nicht nur einen Rausch der Farben, des Lichts und der Bewegung, sondern macht auch die körperliche Anstrengung erfahrbar, die dieser Tanz darstellte. Fuller trug dabei nämlich ein riesiges, mehrschichtiges Seidenkostüm, das sie mit langen Bambusstöcken bewegen musste, gleichzeitig schädigten hell glühende Lampen ihre Augen.

Wie diese Wegbereiterin des Modernen Tanzes schließlich von der Zeit überholt wurde, wird in der Begegnung mit der jungen Isadora Duncan (Johnny Depps 17-jährige Tochter Lily-Rose) sichtbar. Diese stahl mit ihren einfachen, aber grazilen und freizügigen Bewegungen bald Fullers technisch aufwändigem Tanz die Show.

Wie Di Giusto die körperlichen Folgen des Serpentinentanzes zeigt, so verschweigt auch Noëlle die Auswirkungen der Radioaktivität auf Marie Curie (Karolina Gruszka) nicht. Im Gegensatz zum Tanz ist die filmische Darstellung naturwissenschaftlicher Forschung allerdings schwierig. Immer wieder sieht man zwar Curie, die neben Linus Pauling als einzige Nobelpreise in zwei unterschiedlichen Fachgebieten erhielt, im Labor, doch diese Szenen sind vor allem Hintergrund für die menschliche Geschichte.

Einerseits fokussiert Noëlle auf Curies Kampf um eine Professur als erste Frau an der Sorbonne und die Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften, andererseits auf dem schweren Schock über den Unfalltod ihres Mannes und den Skandal, den die Affäre mit ihrem verheirateten Kollegen Paul Langevin auslöste. Auf den Punkt bringt hier Curie die Ungleichheit zwischen Mann und Frau, wenn sie die Empörung der Öffentlichkeit mit dem Hinweis kommentiert, dass dasselbe Verhalten bei einem Mann selbstverständlich akzeptiert würde.

Gemeinsam ist den sorgfältig ausgestatteten Filmen, dass der Fokus auf den Protagonistinnen liegt und historisch-gesellschaftliche Hintergründe kaum einfließen. Während aber Marie Curie schon früh Weltruhm genoss und Loïe Fuller in Paris Triumphe feierte, erlebte Paula Modersohn-Becker ihre künstlerische Anerkennung nicht mehr.

Radikale Künstlerin - braver Film

Christian Schwochow zeichnet die deutsche Malerin (stark: Carla Juri) nicht nur als selbstbewusste, sondern -wie der Untertitel "Mein Leben soll ein Fest sein" schon andeutet -auch als ausgesprochen lebensfrohe junge Frau. Was die bürgerliche Gesellschaft zumindest in der Provinz in dieser Zeit von einer Frau fordert, wird klar, wenn sie ihr Vater auffordert, entweder zu heiraten oder eine Stelle als Lehrerin anzunehmen. Nach ersten Szenen in der Künstlerkolonie Worpswede, wo Paula mit ihrer Unangepasstheit aneckt, und ihrer Heirat mit Otto Modersohn überspringt der Film fünf Jahre. Der Schwerpunkt liegt somit auf den letzten zwei Lebensjahren, in denen Paula aus der Ehe und der Provinz ins liberalere Paris flieht, um ihre künstlerischen Träume zu verwirklichen.

So einfühlsam dieses Porträt aber auch ist, so bildschön die an Gemälde erinnernden Landschaftsaufnahmen auch sind, so konventionell ist "Paula" inszeniert. In Opposition steht der Film damit zur Porträtierten selbst, die mit ihren expressionistischen Bildern neue und eigene Wege ging.

Marie Curie

D/PL/F 2016. Regie: Marie Noëlle. Mit Karolina Gruszka, Arieh Worthalter, Charles Berling, Izabela Kuna. Filmladen. 100 Min. Ab 8.12.

Die Tänzerin (La danseuse)

F/B 2016. Regie: Stéphanie Di Giusto. Mit SoKo, Gaspard Ulliel, Mélanie Thierry, Lily-Rose Depp, François Damiens. Thimfilm. 111 Min. Ab 16.12.

Paula - Mein Leben soll ein Fest sein

D/F 2016. Regie: Christian Schwochow. Mit Carla Juri, Albrecht Abraham Schuch, Roxane Duran, Joel Basman. Polyfilm. 123 Min. Ab 16.12.

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