Aufstieg zu Sprachspitzen

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Uraufführung von Bodo Hells "Tracht:Pflicht" auf der Grazer Probebühne.

Geh hin wo Pissoir ist; Räum auf wo Inventar ist; Knie nieder wo Altar ist; Glaub was offenbar ist." Gern schickt uns das Theater aus dem Theater hinaus und zeigt uns die wirklichen Möglichkeiten. Aktuell: Bodo Hells Theaterstück "Tracht:Pflicht", das in Kooperation mit dem Landestheater Salzburg im Rahmen von Graz 2003 uraufgeführt wurde. Bodo Hells Textformen dienten für den Schauspieler Bernd Jeschek und den Musiker Renald Deppe als Vorlage, die aus diesem Konvolut an Sprachmaterialien eine knapp einstündige Bühnenfassung extrahierten. Theatral poetische Benennungen zergehen im Gesprochenen, rennen wie Laufmaschen über das Standbein dieser Welt; und konstruieren an Hand von unzähligen Sprachfunden aus Natur, Werbung, Sport, Religion, Medizin, ein kritisches Bild vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Zeiten. So jagt einem ein Hell'sches Weltgedicht erneut die Weltgewissheit ein. Im Kräutergarten lockt und reizt der Kampf der Geschlechter. Das hohe Lied der Heilpflanzen verglüht im semantischen Flächenbrand. Heilige und Nebenheilige stehen im Kampf um Anerkennung, auch deshalb weil die fünf Tibeter im Vormarsch sind. Eine gute Bauernregel und ein letzter Almgruß: Tracht und Pflicht reimt sich nicht. Bodo Hells Poetik greift nach sprachlichen Formen, die zusätzlich zum gewöhnlichen und entlegenen auch das aktuelle und aktuellste Sprachmaterial und Zeichenvokabular aufgreifen. Seine Texte scheuen keine Versprechungen, kein Verlesen, keine falsche Betonung, keine Traumbildsprache, verwechseln Sinn und Unsinn, kommen ohne Klartext aus.

Bernd Jeschek, legendär als Molières Held und Alessandro Bariccos Ozeanpianist, kommt bei "Tracht:Pflicht" ohne komödiantische Spielweise aus. Souverän lädt er Bodo Hells Lamentationen, Monodialoge und Laufschriftbänder mimisch auf und leistet meisterhafte Sprecharbeit. Asynchron zum stolzen Sprachrausch sein kauziger Mitspieler Renald Deppe mit Klarinette und Saxophonen. Sein Musikschauspiel unterbricht und traktiert mit närrischem Spott. Trifft Renald Deppe auf Bernd Jeschek, werden Konfetti geworfen, wird Bock gesprungen und hinter dem einzigen Bühnenbildobjekt heftig gefeilscht.

Diese blassgelbe "Stelzenstiegenbank" des Vorarlberger und in Wien lebenden und arbeitenden Künstlers Tone Fink bietet Bernd Jeschek und Renald Deppe Einkehrmöglichkeiten. Einem manierierten Hochsitz ähnlich, weil in Kanapeeform mit fünf stolzen Treppchen zum Auf- und Abklettern, künstelt diese Bühnenplastik gekonnt Frischluft vor. Sie eignet sich hervorragend für das Auskosten der von Bodo Hell eingeforderten "Lust am panoramatischen Schauen" auf alles Auftauchbare dieser Textlandschaften. Auch für die Schärfung aller Sätze, Satzfragmente und Einzelwörter, derer wir bedürfen, um nicht in jede Sprachfalle hineinzutappen, wie sie rings um uns aufgestellt sind. Bodo Hells Wortsammlungen und Textvorlagen lauert Bernd Jeschek am Ende des viel umjubelten Theaterabends auf und entgegnet, scheinbar akut metaphysisch geplagt: "Alle Buchstaben, Wörter, Sätze sind Eintragungen im Nichts ... das Heulen der Hyäne ist das Einzige, was dem Lächeln des Menschen ähnelt." Man kann dieses Finale auch als Gipfelsieg bezeichnen. Ein John Cage der Sprachwelt hat seine Pflicht getan.

Weitere Termine:

22. u. 23. März, 20 Uhr

Salzburger Landestheater:

6.-11., 14. u. 15. April, 19.00 Uhr

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