Babylon der Körpersprachen

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Vielleicht haben Sie ihn ja begangen, letzten Samstag, den Welttag des Bartes. Es scheint allerdings nicht so, als bedürfe die haarige Manneszier zur Zeit besonderer PR-Maßnahmen: Allenthalben sprießt es, dass es eine Freude ist. Obwohl - das gilt nicht unbedingt für den Schnurrbart, der hält sich gerade noch bei Dorfpolizisten, anatolischstämmigen Gemüsehändlern und versprengten Oberförstern. Wurde beispielsweise ein Tiroler Landesrat Innenminister, so trennte er sich stracks von seinem Oberlippenschmuck und bleibt auch als Landeshauptmann glattrasiert. Wer sich einen wachsen lässt, der "setzt ein Zeichen", jedenfalls im November: gegen Prostatakrebs, für Vorsorge; also: hierzulande, in Montenegro würde das mangels Auffälligkeit kaum funktionieren.

Der Vollbart aber hat zuletzt eine erstaunliche Hausse erlebt: Galt er vordem im besten Falle als Belohnung für den Rückzug aus der Spitzenpolitik, als eine Art Elder-Statesman-Prämie (Kreisky, Busek), so hat er in den letzten Jahren das Straßenbild erobert: vom Hipster bis zum Orthodoxen jeglicher Fasson (muslimisch, jüdisch, christlich-patriarchal).

Immer will uns so ein Männerbart etwas mitteilen, mitunter Widerstrebendes. Entweder: Ich will nicht adrett sein, mein Ort ist der Wald. Oder: Ich bin jung, urban, gepflegt und esse vegan. Oder: Ich bin ein Mann, wie Gott ihn schuf, ungezähmt, ungerodet, gottesfürchtig. Paradoxerweise aber auch: Ich zeige meine feminine Seite. Wie begeht man den Welttag des Bartes? Bärte sind nicht nur ein ästhetisches Problem, sondern auch ein taktiles. Sie jucken (den Träger), sie kitzeln und kratzen (die andern). Ob ein Bart wie aus Stein gemeißelt, wie mit der Gartenschere gestutzt oder naturenthemmter Wildwuchs: Hässliche Männer sind dank ihm weniger hässlich. Außer sie haben einen hässlichen Bart.

Die Autorin ist Germanistin und Literaturkritikerin

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