Bekehrung zur reinen Wahrheit?

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Thema: Bekehrungen

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Der Protestantismus ist, wie wahrscheinlich die meisten religiösen Traditionen, eine ziemlich neurotische Angelegenheit. Ich bleibe ihm trotzdem treu. Da findet sich ein bedürftiges Individuum in einer unvollkommenen Herkunft vor, mit der sich schon die Älteren irgendwie arrangierten. Wir bleiben beide in Bewegung: meine Heimat und ich. Wir beeinflussen einander, wir streiten und versöhnen uns. Ecclesia semper transformanda und ich mit ihr. Was am Ende dabei herauskommt, sollen andere beurteilen.

Es gibt aber Leute, die von einer Glaubensgemeinschaft in eine andere übertreten. Die Gründe sind vielfältig: Man tut es um des familiären Friedens willen, oder weil man nicht zu einer Minderheit (oder Mehrheit) gehören will. Manche stammen aus uneinheitlichen Herkünften und revidieren die Entscheidung, die Mutter und Vater einst für sie getroffen haben. Andere erahnen oder erhoffen etwas Besseres: endlich eine klare Moral, einsichtige Dogmen, spürbare verbindliche Gemeinschaft, endlich deutliche Kritik am gängigen bewusstlosen Daherleben. Immer wieder führen Konversionen zu belebenden Debatten: "Die Neue“ stellt Fragen, auf die wir, die Einheimischen nie gekommen wären. So kann sich Wandel im vermeintlich Altbekannten ereignen.

Und manchmal entsteht Druck, zu beweisen, dass das Gewählte tatsächlich das Bessere ist, das Vollkommene gar. Das endgültig Maß-Gebende? Sind Bekehrungen zuweilen gefährlich? Hat Olivier Roy recht, wenn er in seinem neuen Buch "Heilige Einfalt“ vor einer gewalthaltigen Form der Konversion warnt, die sich in der globalisierten Welt ausbreitet: vor der jugendlichen Bekehrung zur vermeintlich reinen Wahrheit, die sich vom trägen Humus jahrhundertealter Kultur meint lösen zu können?

Wann werden Konversionen zur Bedrohung für den Frieden?

* Die Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz

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