Beschränktes Klangrepertoire

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Die Plagiatsvorwürfe gegen die Nummer "Say a word" von Manuel Ortega wurden also von einem Gutachten entkräftet: Das österreichische Siegerlied der Song Contest-Vorausscheidung ist kein Wiedergänger eines Hits aus den Siebzigern, wie die megafidelen Witzbolde von Ö3 kampagnenartig getrommelt hatten.

Jeder, der Gitarre spielt, weiß wie ähnlich im Grunde alle Pop- und Rock-Songs aufgebaut sind. In C-Dur transponiert, kann man mit einem Repertoire von insgesamt vielleicht zwei Dutzend Akkorden jede Nummer begleiten. Ende der fünfziger Jahre, an der Schwelle vom Rock'n'Roll zum Pop, gehorchten zahllose tolle Songs ein- und demselben leicht variierten Schema, ohne dass es zu unsinnigen Plagiats-Vorwürfen gekommen wäre.

Mit denselben Dreiklängen, die "Diana", "Put your head on my shoulder" oder "All I have to do is dream" zugrundeliegen, kann man genausogut Kavatine und Canzone des Almaviva aus dem "Barbier von Sevilla", das Liebesduett aus Bellinis "Sonnambula" oder den berühmten Beginn von Tschaikowskis Klavierkonzert Nr. 1 b-Moll auf der Gitarre begleiten. Genau dieser Umstand zwang die Komponisten von Oper und Orchestermusik - gemäß ihrem Selbstverständnis als Künstler dem Streben nach Neuem folgend - andere Wege zu gehen als die traditionellen Tonleitern, bis sie schließlich sogar die Tonalität sprengten.

Im Gegensatz zur so genannten ernsten Musik ist die Populärmusik bei den klassischen Harmonien geblieben. Ein Milliardenpublikum dankt es ihnen, ebenso wie die meisten Opernfreunde nach wie vor die alten melodiösen Werke vorziehen. Das Lamento elitärer Musikwissenschaftler wie Manfred Wagner, wonach der Großteil des Publikums musikalisch im frühen 19. Jahrhundert steckengeblieben sei, beruht freilich auf einem Denkfehler. Studien haben nämlich ergeben, dass schon Kleinkinder auf einen Dur-Dreiklang mit Wohlwollen reagieren, auf Dissonanzen jedoch mit Widerwillen. Die Fixierung auf das nun einmal beschränkte Repertoire an klassischen Harmonien entspringt also nicht Konservativismus oder mangelnder Kreativität, sondern der menschlichen Natur. Daher wird es in der populären Musik wohl immer gewisse Ähnlichkeiten mit älteren Werken des Genres geben.

Seltsam nur, dass sich ausgerechnet Ö3 darüber mokiert.

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