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Flüchtig daheim

Freundlich beginnt das Stück, freundlich und ein bißchen komisch, im bewährten Wiener Komödienton. "Die Jüdinnen sind vor der Tür" sagt Wölfchen, "Wer?" antwortet Cornelia, versteht und geht rasch ab. Man möchte in dem Buch "wo ich flüchtig gewesen bin" mit Nes-troys "Liederlichem Kleeblatt" auf dem Schutzumschlag zurückblättern und sich vergewissern, ob wirklich "Hasskomödie" über diesem Stück steht.

Ja, das Stück von Florian Kalbeck heißt Hasskomödie, handelt aber eher von Verhärtung, Verstellung, vom Sich-Durchringen zu Liebe und Menschlichkeit. Der Text, der den Band abschließt (er enthält außerdem Farcen, Einakter und ein Fernsehspiel des Autors) ist ebenso sympathisch wie ganz und gar unzeitgemäß, vor allem aber typisch für den 1996 in Wien gestorbenen Dichter. Wer ihn gekannt hat, hört ihn in manchem dieser Sätze noch reden.

Er war ein alter Theaterhase. Unzählige Stücke hat er für das Theater in der Josefstadt bearbeitet, seine Klassiker-Übersetzungen wurden von vielen Theatern gespielt. Dabei geriet der eigenständige Dichter etwas aus dem Blickfeld. In "wo ich flüchtig gewesen bin" kann man sich davon über-zeugen, wie viel er auch hier zu bieten hatte.

Sein Vater war ein enger Mitarbeiter von Max Reinhardt und im Foyer des Theaters in der Josefstadt hängt das Gemälde des Liederlichen Kleeblatts, gemalt von Marie Kalbeck-Mautner, der Mutter. Er selbst war ein Meister der leisen Töne, der Zwischentöne, der subtilen Ironie. Der Kunst, die härtesten Wahrheiten liebenswert zu sagen. Doch es wäre oberflächlich und falsch, ihn deswegen zu unterschätzen, wie es gelegentlich geschah.

Seine "Drei Stickln", Übertitel: "Nix wie Zores", mit denen Topsy Küppers einst ihr Theater auf der Wiedner Hauptstraße eröffnete, sind legendär. Darunter "Hersch und der Rebbe", ein Stück über den Begründer des Chassidimus. Nur die in den frühen achtziger Jahren entstandene "Hasskomödie" wollte bisher kein Theater spielen. Gut dass man sie jetzt wenigstens lesen kann. Der von Judith Pór-Kalbeck aus dem Nachlass edierte Band ist eine Sammlung geschliffener literarischer Leckerbissen, an dem nicht nur Literatur-, sondern auch Wien-Freunde (und viele sind in dieser Stadt ja beides) ihre Freude haben werden.

"wo ich flüchtig gewesen bin - ein Wien Buch": Wienerisch-zweideutiger geht es nimmer. Kalbeck musste Wien 1938 verlassen. Der 1947 Zurückgekehrte erlebte es weniger abweisend als mancher andere, wurde Chefdramaturg an "der Josefstadt", später Chefdramaturg des Fernsehens, lehrte Fernsehdramaturgie an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst, aber ein Bruch blieb. Wenn das Heimweh in der Schweiz auch noch so groß war, der Zurückgekehrte hat das Urvertrauen in die Heimat verloren und verweilt überall nur noch flüchtig, das "späte Entsetzen" lässt ihn nie mehr ganz los. Daher der Schleier von Trauer über diesem Lebenswerk: "Das liebe gartengrüne Wien meiner Kindheit, gedächtnisbeschworen im Heimweh der Emigration, kreuzte sich bei der Wiederbegegnung mit dem Schrecken über den Seelenzustand seiner Bewohner, und aus dieser Kreuzung entstanden dann, viel später ... die besseren Komödien."

Hellmut Butterweck

Wo ich flüchtig gewesen bin - ein Wien Buch. Von Florian Kalbeck.

Edition Atelier, Wien 2002

290 Seiten, geb., e 25,45

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