Kalbecks Frühwerk - ein Zeitzeugnis

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Florian Kalbecks Frau stöberte im Nachlaß ihres Mannes und brachte eine Sammlung verschollener kleiner literarischer Köstlichkeiten ans Licht.

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Florian Kalbecks Frau stöberte im Nachlaß ihres Mannes und brachte eine Sammlung verschollener kleiner literarischer Köstlichkeiten ans Licht.

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Einen überaus liebenswerten Menschen, dem viele von uns, darunter auch der Rezensent, freundschaftlich verbunden waren, lernen wir nun, drei Jahre nach seinem Tod, noch sehr viel besser kennen. Denn die meisten seiner Freunde sind ja erst mit dem Wiener Theatermann Florian Kalbeck in Berührung gekommen, mit dem Autor von Bühnen- und Fernsehstücken und Hörspielen, dem bekannten Theaterpraktiker. Oder sie lernten, zumindest näher, überhaupt erst den späten Florian Kalbeck näher kennen, den vom Theater in den Hintergrund Geschobenen, doch alles andere als Untätigen, denn Kalbeck war bis zuletzt von einem großen Freundeskreis umgeben. Die wirkliche Kenntnis einer Person, soweit sie den ihm nicht sehr Nahestehenden überhaupt möglich ist, bleibt aber ohne Kenntnis ihres Werdens immer nur Stückwerk.

Diesem besseren Kennenlernen dient das in der Edition Atelier erschienene "Basler Träumebuch", eine, wie schon der Untertitel verrät, Sammlung früher, aus den Jahren 1939 bis 1945 stammender "Gedichte, Geschichten, Marionetten und Karikaturen". Beim 1920 geborenen Florian Kalbeck sind die Entstehungsjahre dieses Teils seines Werks nicht nur die frühen Schaffensjahre, in denen jeder junge Autor seinen Weg sucht und erstmals einen persönlichen Ton findet. Es sind zugleich Jahre einer entscheidenden Prägung durch die Erfahrung der Emigration. Der Prozeß der Selbstfindung, das Gewinnen schreiberischer Sicherheit und Selbstsicherheit, verläuft in einer äußeren Situation tiefer Verunsicherung.

Florian Kabeck ist behütet und gesichert aufgewachsen, in einem der geistigen und künstlerischen Entwicklung günstigen Milieu, der Vater war Schauspieler, Regisseur an Max Reinhardts Theater in der Josefstadt und Lehrer am Wiener Reinhardt-Seminar. Das Jahr 1938 bedeutet einen tiefen Bruch. Getrennt von Mutter und Schwester, die es nach England verschlug, in Basel in einem nicht gerade großen Zimmer mit dem kettenrauchenden, nervös, sorgenvoll, unter der erzwungenen Untätigkeit leidend, auf- und abgehenden Vater, der oft erst im Morgengrauen einschlafen kann, durfte Florian zwar studieren (einer seiner Lehrer: Karl Jaspers), aber nicht publizieren. Ein kleiner Teil der Texte des "Basler Träumebuchs" ist trotzdem im Krieg in der Schweiz erschienen - in Zeitungen und Zeitschriften, aber wegen des Publikationsverbots für Emigranten unter Pseudonym.

Beim Torfstechen kam der junge Florian Kalbeck Sommer für Sommer seiner Arbeitsdienstpflicht nach. Auch hier ein scharfer Beobachter: "Wiener Juden, assimilierte Kleinbürger; zumeist an körperliche Arbeit gewöhnt, das wohl, zum Teil Athleten. (Ich erinnere mich an einen chronisch seufzenden Wiener Schneider, der in Kleidern wie ein Jeschiwe-Bocher aussah, aber nackt unter der Brause wie der Hörtnagl.) Die ,Kaffeehausjuden' fehlen. Und doch, es ist eine westliche, eine dekadente Sozietät, nervös, weil ihrer Rettung nicht sicher, weit mehr verraunzt als verstört ..." 1942 wird der Vater Oberspielleiter in Bern, wo er bis zu seinem Tod im Jahre 1949 an die 60 Stücke inszeniert.

Florian Kalbeck schrieb und zeichnete schon mit 16 Jahren und betätigte sich auch als Illustrator. Sehr zurecht schreibt Roman Rocek in seinem Nachwort "Wunder der Identität": "Selten kündigt sich eine skurril-satirische Begabung mit derartigem Reifegrad an wie in diesen Karikaturen. Doch wird sein Talent weder kontinuierlich noch systematisch ausgebildet. So bleibt es eben Wildwuchs. Aber eines lassen die Karikaturen der Schweizer Jahre ... doch recht deutlich erkennen: wie Florian sich nach und nach von der Darstellung skurriler Einzelbeobachtungen löst und beginnt, das zutiefst absurde Schicksal der menschlichen Existenz in paradoxen Handlungsabläufen zu erfassen und nachzuzeichnen." Den Blick fürs Skurrile erhielt sich Florian Kalbeck lebenslang. Seine frühen Karikaturen erinnerten mich spontan an ein bis heute unaufgeführtes Theaterstück über den Streit von Hausbewohnern, das er mich vor Jahren lesen ließ.

Skurril ist auch ein größerer Teil der Prosatexte im "Basler Träumebuch". Aber damit wäre ihre Qualität nur höchst unvollständig charakterisiert. Sie sind viel mehr, zum Teil philosophisch, Versuche, mit sich und der Welt ins Reine zu kommen, vor allem aber Selbstzeugnisse eines idealistischen, ein wenig weltfremden, im besten Sinne verträumten Menschen. Nicht frei von erkennbaren, noch nicht völlig verarbeiteten, ins Eigenste integrierten Einflüssen, was angesichts des Alters und der Situation selbstverständlich ist, aber bereits von erstaunlicher Sicherheit der Mittel.

Der Kalbeck, der uns in der satirischen "Marionetten-Komödie "Prinz Faulrian Siebenschlafs wundersame Wanderschaft oder: Der programmatische Wolken- und Alptraum" begegnet (1947 vom Basler Marionettentheater uraufgeführt), ist uns vertrauter als der Kalbeck etwa der bedrückenden psychologischen Miniatur "Die Kröte", und völlig unbekannt war, sträflicherweise, dem Rezensenten der Lyriker, über den das nebenstehend abgedruckte Gedicht "Morgensee" mehr sagt als viele interpretierende Worte.

Die Texte dieses Buches sind nicht nur Selbstzeugnisse, interessant für die Freunde, sondern literarische Zeitzeugnisse. Ebenso wie die Gedichte konservieren sie künstlerisch die Atmosphäre, die geistige Zeitstimmung der Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit, die ganz anders war, als sie vielen heute erscheint. Viel weniger Vorstadium dessen, was später kam - der Zwischenkriegszeit, der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg viel stärker verbunden. Den frühen Kalbeck zu lesen, bedeutet wirklich das Eintauchen in eine versunkene Zeit, eine Art Verzauberung.

MORGENSEE Leise noch triefen Träume ins Wasser ...

Früh im Lichte blinzelt der Tau-Seele, mein See, nun bald wird blasser in spiegelnden Tiefen Gottes Blau.

Das Basler Träumebuch. Gedichte, Geschichten, Marionetten und Karikaturen 1939 bis 1945. Aus dem literarischen Nachlaß ausgewählt, herausgegeben und mit einem Vorwort versehen von Judith Por Kalbeck, Nachwort: Roman Rocek. Edition Atelier, Wien 1998. 144 Seiten, geb., öS 240,- E 17,44 öS

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