Das Fest der Volksfrömmigkeit?

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Thema: Volksfrömmigkeit

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Meine Studienausgabe des theologischen Handbuchs „Die Religion in Geschichte und Gegenwart“ stammt aus dem Jahr 1986. Ich schlage nach zum Stichwort „Geburt“ und finde diesen Satz: „Die Geburt ist überall und vielleicht am meisten bei den sog. primitiven Völkern von allerlei Vorstellungen und Riten umgeben …“ Ist also Weihnachten primitiv? Oder hat der Autor des gelehrten Artikels das christliche Geburtsfest einfach vergessen?

Ich werde neugierig und fahre in die nächstgelegene wissenschaftliche Bibliothek, denn dort steht die Neuausgabe der „RGG“ aus dem Jahr 2000. Tatsächlich: Man hat das anstößige Wort „primitiv“ gestrichen. Von Weihnachten ist im Artikel zum Thema Geburt aber immer noch nicht die Rede. Und auch sonst fast nirgends in den gewichtigen sechs Bänden Schuldogmatik, aus denen bis heute viele Menschen ihr theologisches Grundwissen beziehen.

Kein Theologe würde offen zugeben, dass er die Scharen, die an Weihnachten in die Kirchen strömen, für primitiv hält. Und doch sind, was Helmut Schüller die „feinen Magennerven der offiziellen Theologie“ nennt, merklich irritiert. Nicht am kindischen Fest des Lichterglanzes und der Wohlgerüche sollten die Menschen Kirchen füllen, sondern an Karfreitag und Ostern!

Ist „der Kommerz“ an allem schuld? Ich meine: nein. Ich meine: Die Leute wissen sehr gut, dass menschliche und göttliche Neuanfänge ein Grund zum Feiern sind. Statt indigniert die Nase zu rümpfen, sollten die Herren Gottgelehrten darüber nachdenken, warum Christinnen und Christen sich das Fest der Geburtlichkeit nicht austreiben lassen. Wer weiß: Vielleicht wird sich der christliche Glaube uns ja ganz neu erschließen, wenn wir das Geburtsfest nicht nur überschwänglich – oder widerwillig – feiern, sondern endlich bedenken!

* Der Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz

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