Der Boxer und seine Revolte des Friedens

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Im Boxring ist einer immer alleine. Das Leben dort ist einfach. Es geht um Treffer und Punkte, um Haken, Jabs, Deckung und Beinarbeit. Es geht darum, Schläge auszuhalten und auszuteilen. Das kann Vitali Klitschko par excellence. In diesem Leben will auch niemand wissen, dass man vier Sprachen fließend beherrscht, exzellent Schach spielt oder Vorsitzender der größten Oppositionspartei der Ukraine ist. Nichts von alledem. Man schlägt und wird geschlagen und siegt oder wird geschlagen. Eins gegen Eins - das ist eine kleine Welt.

Aber wenn einer vor 350.000 auf dem Majdan-Platz in Kiew spricht, dann muss er wissen, was wirklich zählt. Vitali Klitschko weiß es: "Ich alleine vermag nichts, hundert von uns vermögen nichts, nicht einmal hunderttausend. Aber wenn wir 500.000 sind und dann vielleicht Millionen, dann können wir dieses Land bewegen.“ So sprach der Boxweltmeister zu jener Menge, die seit Tagen versucht, in der Ukraine eine proeuropäische Linie durchzusetzen und dafür von der Polizei mit Prügel und Gewalt bestraft wird.

Klitschko ist ein Kind des untergehenden Sowjetsystems. Sein Vater war Offizier der Roten Armee, stationiert in der damaligen Tschechoslowakei. In Hradcany gibt es für die Armee-Kinder kaum Beschäftigung, dafür viel Abgeschiedenheit. Das einzige Freizeitangebot: Ein Boxclub auf dem Gelände. Vitali und sein Bruder Wladimir sind dabei. So wird man Boxer, Olympionike, Dopingsünder, Europameister, Profi und schließlich Weltmeister. Den Weltmeistertitel trägt Vitali immer noch - und zwar seit 2008. Er gewann 45 seiner 47 Kämpfe, die meisten davon durch k. o.

Aber das könnte nur ein kleiner Vorgeschmack gewesen sein zu dem, was nun ansteht. Seit 2006 ist Klitschko in der Politik aktiv - zunächst als Bürgermeisterkandidat in Kiew. Im April 2010 wird er zum Vorsitzenden der neu gegründeten Partei Ukrainische demokratische Allianz für Reformen gewählt, die bei den Wahlen 2012 drittstärkste Parlamentsfraktion wurde. Eine friedliche Revolution zu organisieren, das schreckt einen wie Klitschko nicht ab. Im Gegenteil. Als die Regierung den Demonstranten vorwarf, sie hätten das Parlamentsgebäude gestürmt, und Polizisten vor den Toren Aufstellung nahmen, da öffnete sich die Tür des Gebäudes und der Zweimeterriese Klitschko trat heraus. Er hob die Arme. Aber nicht zum Kampf. Bloß fragend. Das genügte. Die Polizei zog ab. Und Klitschko, der Boxer, wurde zum Helden einer größeren Welt.

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