Der Einzelne und seine Interessen

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In dunklen Zeiten hat es einmal geheißen: Gemeinnutz geht vor Eigennutz. Inzwischen ist es heller, viel heller geworden. Und nun wird die Losung ausgegeben: Eigennutz geht vor Gemeinnutz. Sicherlich wird sich jeder hüten, die Sache so zu benennen. Doch wer die Augen aufmacht, sieht, dass die Dinge in diese Richtung laufen. Den jeweils anderen werden echte oder vermeintliche Privilegien vorgeworfen. Das eigene Ich, die eigene Gruppe, die eigene Lebensform werden als besonders unterstützenswert dargestellt. Was dem Eigenen nützt, soll gelten.

Das alles hat schon etwas für sich. Eine Rückkehr zu der alten Losung ist nicht wünschenswert. Eine in konkurrierende und vor allem ihre eigenen Interessen vertretende Einzelgruppen zerfallene Gesellschaft ist andererseits nicht lebensfähig. Es geht etwas zu Ende. Das ist an vielen Zeichen zu erkennen. Was könnte danach kommen? Das wird wohl vom Einzelnen abhängen. Es wird von Einzelgruppen und ihren Lebensformen abhängen. Das, was den Untergang unserer Gesellschaft herbeiführt, kann sie auch retten. Es ist der Einzelne mit seinen Interessen.

Es wäre eine Gesellschaft denkbar, in der sämtliche Eigeninteressen der Einzelnen von einem gemeinsamen Interesse durchwirkt werden, nämlich dem Interesse am Anderen. Früher war es so, heute ist es auch noch oft so, dass der Maßstab für die Wahrnehmung des Anderen letztlich das Eigene war. Der Andere sollte werden wie ich. Wo es nicht möglich war, wurde er toleriert, hingenommen. Aber es wäre doch möglich, den Anderen als solchen zu suchen und in dieser Weitung des Horizonts einen besonderen Nutzen für sich selber zu finden.

Ich werde die nächsten drei Monate in Prag verbringen. Ich mache dort keine Geschäfte. Ich möchte die Tschechen und ihre Sprache kennenlernen.

Der Autor ist Kunsthistoriker und war zuletzt Rektor der Jesuitenkirche in Wien

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