Der Suizid des Journalismus

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Journalismus reflektiert sich seit vielen Jahren in der Tradition jenes Mark Twain, der einst der Welt ausrichten ließ, die Berichte über seinen Tod seien stark übertrieben. Doch schon die Verifizierung dieses Bonmots zeigt die Grenzen der Recherche und nährt die Krise der Glaubwürdigkeit.

Denn auch in der englischsprachigen Welt wird das Zitat des amerikanischen Autors vorzugsweise als "Reports of my death have been greatly exaggerated" wiedergegeben. Laut Oxford University Press stand im New York Journal vom 2. Juni 1897 aber nur: "The report of my death was an exaggeration".

Die nachweltliche Übertreibung der historischen Reaktion auf eine Falschmeldung ist ein schönes Paradoxon zur aktuellen Situation. Doch wer sich mit diesem Fundstück besserwisserisch zufrieden gibt, wird zum Mittäter an der Qualitätsdemontage. Denn er hat das alte Zeitungsexemplar nicht vor sich, und im Internet findet sich bloß ein Foto des Twain-Briefes, nicht aber seines Abdruckes. Wer es ganz genau wissen will, muss weitergehen - zum Beispiel in eine gute Universitätsbibliothek.

Das banale Beispiel zeigt, was wahren Journalismus ausmacht: langwierige Recherche. Sie hat gefehlt anlässlich des jüngsten Flugzeugunglücks. Niemanden überrascht, dass sich der Boulevard rasch in Geschmacklosigkeiten wie "Liebe Absturzopfer " (Bild) verirrt. Doch es raubt ein Restvertrauen, wenn Bannerträger der Zunft unter dem Tempodruck vermeintlicher Konkurrenz vorschnell den "Absturz eines Mythos"(Die Zeit) herbeischreiben - und damit nicht den Journalismus meinen.

Die Todesursache bleibt unklar: Mangel an Recherche? Übermaß an Selbstgerechtigkeit? Inflation an Unverbürgtem? Der Suizid ist kaum beweisbar, aber angeblich, mutmaßlich, scheinbar ist der Journalismus am Ende. Die Nachricht von seinem Tod wirkt nicht wie eine Übertreibung.

Der Autor ist Medienberater und Politikanalyst

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