Die Frömmigkeit eines Kirchentags

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Halleluja aus allen Rohren. Alle zwei Jahre wieder fahre ich an einem frühsommerlichen Nachmittag im Hauptbahnhof einer deutschen Großstadt ein: Es ist Kirchentag! Und es nervt: Ältere Knaben in Schafwollgestrick tragen tragische Plakate, Schulklassen lärmen ins Freizeitvergnügen, Isomatte, Gitarre und Flirtlust im Gepäck. Eine trommelt. Die dunkelblaugestreifte Dame im nächsten Abteil ist deutlich als Kirchenprofi zu erkennen: ihr fröhlich sein wollendes Lächeln wirkt so angestrengt wie meines sich anfühlt. Ein Grüppchen diskutiert lautstark über die Theologie des Atomausstiegs. Und dann ergießt sich alles in die U-Bahn, wo jemand schüchtern einen Jesussong anstimmt, der bald wieder verebbt. Nein, es ist noch nicht soweit. Ab Freitagmittag etwa wird die ganze Stadt erobert sein vom selig singenden Kirchenvolk.

Ich beziehe mein Zimmer, um schon bald wieder aufzubrechen zu einem "Abend der Begegnung“. Wieso fand ich eigentlich den letzten Kirchentag so toll? Das hier ist doch eher peinlich. Und dann treffe ich eine Studienkollegin, und wir gehen zusammen in irgendeine Kirche, wo gerade irgendeine Liturgie gefeiert wird.

Am nächsten Morgen: Messehalle, Papphocker, Plastikgeschirr. So viele, so friedliche, so verschiedene Leute! Nach einer angeregten Riesendebatte über etwas Hochspannendes fahre ich mit meinem Fünftagesticket an die Peripherie. Da gibt es Kaffee und Kuchen, Tanz, Theologie und Durcheinander. Dann Halle der Stille. Ich liege auf der Matte und höre es von ferne brausen: das fromme Volk mit seinen vielen Liedern.

Und auf einmal nervt es nicht mehr. Und auf einmal weiß ich wieder, warum ich es schon vor zwei Jahren klasse fand. Und es ist mir nicht mehr peinlich, dazuzugehören. Und ich liebe meine Kirche mit allem, was dazugehört. Und mehr.

Die Autorin ist Schriftstellerin u. evang. Theologin in der Schweiz

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