Die geistige Wagenburg durchbrechen

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Thema: Sexueller Missbrauch

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M an hätte es sich eigentlich denken können. Walter Mixa, einst die Speerspitze eines „gesunden“, konservativen Katholizismus, erlebt in diesen Wochen, wie es ist, von seiner Kirche als Sündenbock ausgewählt und über die Klippe gestoßen zu werden. Ein Exempel wird statuiert.

Das Symptomatische der Causa Mixa wird darüber aber leicht vergessen. Im Kloster Ettal können wir sehen, was überall abläuft: Wo vor Wochen noch – Asche auf dem Haupt – rückhaltlose Aufklärung versprochen wurde, sind die Verantwortlichen nun schon dabei, den Schleier des Vergessens zu weben. Und die Opfer durchleben ein weiteres Mal, wie es ist, gedemütigt, vergewaltigt und verhöhnt zu werden angesichts des erfahrenen Unrechts und Leids. Wenn die katholische Kirche solch massive Fälle von Missbrauch und Machtentgleisung flächendeckend einräumen muss, sind individuelle Worte der Entschuldigung das Eine. Der dabei oft beschworene Prozess von Versöhnung zwischen Tätern und Opfern erfordert aber auch, dass die Kirche nicht einfach so bleibt, wie sie ist. Zu grundlegender Veränderung würde gehören, sich von der Kultur des Wegschauens zu verabschieden.

Die katholische Kirche hat jedoch das Ausblenden unangenehmer Wahrheiten fast zu einer Kunstform entwickelt. Religion soll aber kein gutes Gewissen schaffen, sondern das Gewissen ständig beunruhigen. Nur dann ist sie auch wahrhaft Religion. Sie muss fähig sein, jeder geschöpflichen Macht Widerstand anzusagen und zu leisten, wenn es gilt, das Ewige zu verteidigen. Auch in der eigenen Institution. Hier muss die katholische Kirche ihre geistige Wagenburg durchbrechen. Diesmal wird es nicht genügen, ein symbolisches Opfer auf dem Altar der Selbsttäuschung darzubringen und ansonsten auf die nivellierende Kraft des Vergessens zu hoffen.

* Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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