Die Macht des Geldes ist überall

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Henry James blickt in seinem Kammerspiel "Washington Square“ auf die Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg zurück. Der 1881 erschienene Roman wurde nun in einer neuen Übersetzung veröffentlicht.

Unbeirrbar bemüht sich der Manesse Verlag, das Werk des im deutschsprachigen Raum noch nicht wirklich zum viel gelesenen Klassiker aufgestiegenen Henry James in neuen Übersetzungen unter die Leute zu bringen - angesichts der enormen Produktivität des amerikanischen Autors kein geringes Unterfangen. Mit "Washington Square“ (1881) ist einer seiner zugänglichsten Romane wieder greifbar, angereichert durch ein kenntnisreiches Nachwort der Übersetzerin Bettina Blumenberg.

Erzählt wird die Geschichte der Slopers im New York der 1840er-Jahre. Nicht einmal ein Dutzend Figuren machen das kammerspielartige Szenario aus, in dessen Zentrum der unnahbare Patriarch Austin Sloper steht. Bereits in jungen Jahren hat er es als umsichtiger Arzt zu Ansehen gebracht, und nachdem er eine vermögende Frau geheiratet hat, darf er sicher sein, dass die New Yorker Upperclass zu seinen Patienten zählen wird. Sein beruflicher und sozialer Aufstieg, der sich in einem schmucken Haus am Washington Square niederschlägt, kontrastiert mit privatem Unglück: Sein Erstgeborener stirbt mit drei Jahren, und seine Frau überlebt die Geburt des zweiten Kindes, der Tochter Catherine, nicht lange. Der Makel, dass seine medizinische Kompetenz nicht ausreichte, den Tod zweier Familienmitglieder zu verhindern, bleibt an ihm haften, und in der unscheinbaren Catherine vermag er nicht mehr als eine "Enttäuschung“ zu sehen.

Positionskämpfe einer Auseinandersetzung

Austin Sloper ist ein wohlhabender Mann, und es ist kein Geheimnis, dass auch seine Tochter eine gute Partie darstellt. Umso naheliegender also, dass bei dem kühl kalkulierenden, von emotionalen Regungen weitgehend unbelasteten Familienvorstand die Alarmglocken schrillen, als sich überraschenderweise der schöne und junge Morris Townsend um Catherine bemüht, die schon mit zweiundzwanzig Jahren als "reife Blüte“ gilt. Schnell ist sich Sloper seiner Sache sicher: Der keiner geregelten Arbeit nachgehende Bankrotteur Townsend kann es nur auf Catherines Geld abgesehen haben.

Von diesem Moment an entwickelt sich ein Machtkampf, in dessen Verlauf die nicht sonderlich intelligente Catherine beharrlich zu ihrem Verlobten hält und gleichzeitig mit ihrem Vater nicht brechen will. Dieser lässt sich durch kein Flehen erweichen, zieht alle Register scheinbar rationalen Handelns und beißt sich dennoch an seiner störrischen Tochter die Zähne aus. Nichts lässt er unversucht, um seine Vorurteile über den drohenden Schwiegersohn zu zementieren, und als dessen Schwester nicht umhinkommt, ihn in seiner Anschauung zu bestärken, weiß er endgültig, was er von Townsend zu halten hat. Eine ausgedehnte Europareise soll Catherine auf andere Gedanken bringen - vergeblich. Die Sehenswürdigkeiten, die der Roman übrigens nicht einmal kursorisch behandelt, hinterlassen keinerlei Eindruck; auch nach ihrer Rückkehr gilt ihr erster Gedanke dem geschickt taktierenden Geliebten, der nicht davon ablässt, die "Prämie“ Catherine trotz des väterlichen Widerstands einkassieren zu wollen.

James inszeniert die Positionskämpfe mit brillanter ironischer Schärfe. Die Außenwelt Manhattans spielt wie die Europas keine Rolle. Es geht allein darum, das Intrigenfeld abzustecken, und eine nicht unwichtige Rolle spielt dabei Slopers Schwester Lavinia. Nach dem Tod seiner Frau hat Sloper die ältliche Jungfer aufgenommen, nicht ahnend, dass die romantisch verblendete Seele Gefallen daran findet, das junge Paar zu unterstützen. Geschickt unterläuft sie die Vorhaben des kaltherzigen Bruders und hofft auf eine heimliche Hochzeit in einer "unterirdischen Kapelle“ - wozu der Erzähler in seinem typischen Tonfall anmerkt, dass solche Kapellen in New York "nicht eben zahlreich“ seien.

Dauerpräsenz des Geldes

Der große Reiz des Romans besteht darin, dass James seine Figuren nicht auf dem Reißbrett entwirft, sie nie zu Klischees verkommen lässt und ihnen eine schwer auszulotende Doppelbödigkeit gibt. Sie fordern den Leser heraus, zwingen ihn dazu, über moralische Abgründe nachzudenken und die über Gut und Böse, Weiß und Schwarz entscheidende Waage ständig neu zu justieren. Natürlich mag man Townsend für einen gerissenen Heuchler, Catherine für eine hartnäckige, aber beschränkte Person und Sloper für einen egoistischen Rationalisten halten, doch all diese Urteile geraten wieder und wieder ins Schwanken und machen aus "Washington Square“ ein intellektuelles Vergnügen. Und nicht zuletzt kreist der Roman, der bewusst aus der Perspektive der späten 1870er-Jahre auf die Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg zurückblickt, um die Dauerpräsenz des Geldes. Dessen Macht lenkt die Figuren, motiviert ihre Handlungen auch da, wo sie meinen, sich in davon unbelasteten Gefilden von Liebe und Eifersucht zu bewegen. Das macht das Raffinement des Romans und seine staunenswerte Modernität aus. Man muss nur einen Blick auf die zur selben Zeit erschienenen Romane eines Theodor Fontane werfen, um die große Differenz zu James zu sehen.

Es nimmt - wen wundert’s? - kein gutes Ende mit Catherine Sloper und Morris Townsend. Trotz Lavinias Strippenzieherei wird das Verlöbnis aufgelöst, und selbst nach dem Tod ihres Vaters weigert sich Catherine, in den Stand der Ehe zu treten ... bis sich Morris Townsend, der sich äußerlich nicht zu seinem Vorteil entwickelt hat, wieder zurückmeldet und hofft, doch noch bei Catherine zu landen. Ob seine nachgetragenen Avancen erfolgreich sind? Das wird hier natürlich nicht verraten. Es lässt sich in Blumenbergs feiner Neuübersetzung bequem nachlesen.

Washington Square

Von Henry James, übersetzt von Bettina Blumenberg. Manesse 2014. 278 S., geb., E 25,70.

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