"Die Maske der Revolution"

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Endlich ist eine Inszenierung von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner auch in Wien zu sehen: Die Festwochen zeigen ihre Interpretation von Heiner Müllers Stück "Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution".

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Endlich ist eine Inszenierung von Tom Kühnel und Jürgen Kuttner auch in Wien zu sehen: Die Festwochen zeigen ihre Interpretation von Heiner Müllers Stück "Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution".

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"Heiner Müller ist der beste Sprecher seiner Texte, weil er nicht so tut, als ob er sie versteht", meint Jürgen Kuttner über den 1995 verstorbenen Autor. Und so lassen die beiden Regisseure Tom Kühnel und Jürgen Kuttner in ihrer Interpretation von Heiner Müllers 1979 entstandenem Stück "Der Auftrag. Erinnerung an eine Revolution" den Autor selbst sprechen, sie spielen eine Lesung von Heiner Müller aus dem Jahr 1980 ein. Man hört also die meiste Zeit Müllers Stimme, manchmal räuspert er sich, dann werden Sequenzen wiederholt, beschleunigt oder verlangsamt.

Über der Bühne des Theaters an der Wien stehen die Werte der Französischen Revolution in großen Lettern: Liberté, Egalité, Fraternité. Nun kann die Revolutions-Show beginnen, als Conférencier tritt Regisseur Kuttner mit Jeans, Lederjacke und schwarzer Brille auf, ein Doppelgänger Heiner Müllers. Er kündigt die Szenen an. Im Orchestergraben spielt dazu die Musik. Die Band "Die Tentakel von Delphi" liefert den Sound in dieser Manege der Grenz- und Doppelgänger, Rock auf Synthesizerbasis und mythisch abgehobene Sounds, und schafft akustischen Raum.

Clown, Dompteur und Raubtier

Als Clown, Dompteur und domestiziertes Raubtier treten die drei Protagonisten in den Farben der französischen Flagge auf. Schließlich sind sie Abgesandte des französischen Konvents und haben einen Auftrag, nämlich einen Sklavenaufstand gegen die Herrschaft der britischen Krone auf der Insel Jamaika anzustiften.

Der Erste, Victor Debuisson, ist bürgerlicher Sohn von Sklavenhaltern -hier von Corinna Harfouch als Weißclown gespielt. Beim Zweiten, Galloudec, handelt es sich um einen Bauern aus der Bretagne; Janko Kahle schwingt in rotem Dompteurs-Kostüm die Peitsche über das gefährliche Biest, nämlich die Unterdrückten in den Kolonien. Und der Dritte heißt Sasportas, er ist ein schwarzer Revolutionär, der jahrelang versklavt wurde. Blau bepinselt vervollständigt Hagen Oechel die Trikolore.

Die drei Emissäre sollen die Werte der Französischen Revolution in die entfernten Kolonien tragen. Man schreibt das Jahr 1812, die Revolution hat längst ihre Kinder gefressen. Als die drei in Jamaika eintreffen, hat in Frankreich Napoleon die Macht übernommen und eine neue Zeit beginnt. Eine Zeit, die aus den Fugen geraten ist - wie auch die DDR, deren kritischster und bedeutendster Autor Heiner Müller war. Als Müller den "Auftrag" schrieb, hatte sich das aus einer antifaschistischen Haltung heraus gegründete Land längst zu einem totalitären Regime entwickelt. Der Tod ist die Maske der Revolution, die Revolution ist die Maske des Todes, so wiederholt es Müller mehrfach. Die revolutionären Träume waren gescheitert.

Der Auftrag (welcher auch immer) ist nun hohl. Müller verbindet Geschichte und Ideologie und steckt sie in ein Kämmerchen der Weltgeschichte. Auf der Bühne von Jo Schramm und Anna Sörensen ist ein heruntergekommenes Zimmer eingerichtet, in dem sich Karl Marx, Che Guevara, Mao, Stalin, Lenin und Rosa Luxemburg aufhalten. Die Handkamera zeigt sie in Nahaufnahme, ebenso wie ein Porträt von Heiner Müller. Ein Schussloch hat das Foto beschädigt und am Ende dieses fulminanten Abends hat Debuisson auch alle anderen Revolutionäre der Geschichte umgebracht. Ihre Utopien sind gescheitert, was bleibt, ist der Verrat, die ewig Geliebte der Revolution.

Groteske Komik

Als Karikatur dieser revolutionären Elite reüssiert Corinna Harfouch. Sie hat bereits als junge Schauspielerin in Müllers "Macbeth"-Inszenierung die Lady gespielt. Harfouch kennt Müllers Gedankenwelt, den Ton seiner Texte und den Gestus seiner Szenen. Präzise und mit geradezu artistischer Körperbeherrschung gibt sie seiner Stimme Form und dem bekannten "Fahrstuhl"-Monolog groteske Komik.

Harfouch steht allein auf der Bühne, auch Müllers Stimme aus dem Tonband hat sie nun verlassen. Die Irr-Fahrt im Aufzug zum Chef muss sie ohne ihn bewältigen. Auf sächsisch spricht sie die Verzweiflung einer orientierungslos gewordenen Figur.

Der Lift fährt irgendwohin und landet schließlich mit ihr auf einer Dorfstraße in Peru. Um welchen Auftrag mag es sich handeln?

Am Ende dieser beeindruckenden Szene hat der Clown aus Europa seine Koordinaten verloren. Die Sicherheit des weißen mitteleuropäischen Mannes gerät ins Wanken, wie die DDR in den 1980er-Jahren, wie Europa Anfang des 21. Jahrhunderts ... Mit Harfouch als Protagonistin etabliert sich die Szene zum kafkaesken Zentrum dieser grandiosen Inszenierung voll intelligenter Einfälle.

Nach diesem außergewöhnlichen Abend ist zu hoffen, dass in Wien bald mehr vom Regieduo Kühnel/Kuttner zu sehen ist.

Der Auftrag Theater an der Wien 25. Mai

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