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Tschechows "Platonow" und Dürenmatts "Besuch der alten Dame" in Graz

Anton Tschechows Moderne, sagt die Grazer Inszenierung, ist ein Alkoholexzess, der das Innere aus den Menschen wie Flüssigkeit aus Flaschen leert. Das Setting des dreistündigen Platonow besteht aus einem literarischen Wartezimmer, in dem der schreibende Arzt eine Handvoll russischer Provinzler versammelt. Florian Barth richtete für sie unter der Regie von Cornelia Crombholz und Sandy Lopicic eine Flachdachresidenz inklusive Plastikrollläden ein.

Darin und davor räkeln sie sich und lavieren sie: die erotisch wendige, doch finanziell frigide Generalswitwe (souverän Martina Stilp) ebenso wie die gelangweilten Söhne und Töchter. Zwischen Selbsttäuschung und Weinerlichkeit leben sie ihr Leben, wie unsereiner nach Mücken klatscht.

Die selbstherrliche Uferidylle beginnt allerdings in dem Moment trüb zu werden, als der Dorfschullehrer Platonow die Zusammenkunft aufmischt. Er kann Tschechows Leere aufwirbeln, weil er ein dreister Widerling, ein echter Weiberheld, ein fassungslos eitler Versager ist. Aber die Grazer Inszenierung und Jan Thümer sind noch viel vertrackter als das Stück. Sie verlieren sich in zielloser Raserei, in blasser Einfallslosigkeit, die ihren tristen Höhepunkt in einer Rampe findet. Diese wird ausgefahren zur Rutschstrecke eines schwermütig alkoholisierten Wettkönigs, der rennt, als nehme er bei Wetten, dass …? seinen x-ten Anlauf.

Ebenfalls als Spektakel hat Tom Kühnel Dürrenmatts Besuch der alten Dame inszeniert. "Ein böses Stück", schrieb Dürrenmatt einmal und gab zu bedenken, dass es gerade deshalb nicht böse sein darf, sondern aufs humanste wiedergegeben werden muss, mit Trauer, nicht mit Zorn, doch mit Humor. Humorvoll ist der Einfall, die milliardenschwere alte Dame durch eine fettleibige, Ekel erregende Menschenpuppe (Stimme Suse Wächter) zu ersetzen und sie auf einer Art Wettcouch in silbrig violettem Austerndesign (Bühnenbild Jo Schramm) durchs Stück zu schieben. Sie wettet nicht, sie wartet. Währenddessen fegen unzählige Laienschauspieler über die Bühne, die einem weismachen wollen: Ihr seid wie wir! Geldgeile Güllener, die der neuen Weltordnung des Kapitals Beifall zollen.

Aber genau das gelingt nicht. Der Grazbesuch der alten Dame ist kaum mehr als eine traurige Wette wert.

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