Dieses Chaos namens Geschichte

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Eine Trilogie soll es werden, mit „Die Erde weint“ hat Theo Angelopoulos 2004 begonnen, vier Jahre später hat er „The Dust of Time“ fertiggestellt, das nun – im Gegensatz zum ersten Teil – hierzulande auch ins Kino kommt. Das 20. Jahrhundert als Äon der Ver(w)irrungen. Die Erkenntnis – Stichwort Hitler, Stichwort Stalin – ist nicht neu. Doch auf der Folie der griechischen Geschichtserfahrung und in der Syntax Angelopoulos’scher Filmsprache entsteht etwas einmalig Neues, wenngleich durchaus schwierige Kost. Aber eine „kulinarische“ Film-Erwartung hat dieser Regisseur ja noch nie bedient.

Der Ausgangspunkt ist eine Dreiecksgeschichte: Im Todesjahr Stalins findet Spyros (Michel Piccoli) seine Geliebte Eleni (Irène Jacob) in einer Stadt in Kasachstan wieder, wohin sie als griechische Dissidentin verbannt worden ist. Der leidenschaftlichen Wiederbegegnung entsprießt A., später Filmregisseur, doch die stalinistischen Schergen trennen das Paar und Spyros vershlägt es in die USA; Eleni darf er erst 20 Jahre und eine ehe später wieder begegnen. Der dritte im Bunde ist der deutsche Jude Jacob (Bruno Ganz), der wie Spyros Eleni liebt.

Fährnisse der Zeitläufte

Erzählt werden diese Begebenheiten vor den Wirrungen und Fährnissen der Zeitläufte aus dem Blick- und Erinnerungswinkel von Spyros’ Sohn A. (Willem Dafoe), der in der römischen Filmstadt Cinecittá einen Film über seine Eltern dreht, und der von der Erinnerung wie von der Gegenwart eingeholt wird: Seine Tochter, die wie die Großmutter Eleni heißt, ist in Berlin verschollen, und die Eltern, der Sohn sowie Jacob treffen zum Jahrtausendwechsel in der deutschen Metropole aufeinander und zusammen.

Rätselhaft und metaphernreich sind die Begegnungen und Reminiszenzen sowie das Beziehungsgeflecht, das hier dargestellt wird: Einiges an Verwirrung mutet der Regisseur seinem Publikum schon zu, aber die Langsamkeit der Handlung und deren Vielschichtigkeit sowie die grandiose Musik (vgl. dazu das Interview oben) bestechen uneingeschränkt. Und dass mit Willem Dafoe, der zuletzt ja auch in Lars von Triers „Antichrist“ lichte Schauspielhöhen erkletterte, Irène Jacob und den beiden Altmeistern europäischer Schauspielkunst, Michel Piccoli und Bruno Ganz (alle miteinander auf Englisch kommunizierend!), ein Ensemble der Extraklasse zur Verfügung stand, hat aus dem Opus des griechischen Film-Titanen einen exzeptionellen Autorenfilm werden lassen. (Otto Friedrich)

The Dust of Time (I skoni tou hrono)

GR/RUS/I/D 2008. Regie: Theo Angelopoulos. Mit Willem Dafoe, Bruno Ganz, Michel Piccoli, Irène Jacob, Christiane Paul. Verleih: Filmladen. 125 Min.

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