Ein Leitwolf der Modernen Kunst

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Mit seinen "radikalen Gesten“ sorgt der Vorarlberger Künstler Wolfgang Flatz immer wieder für Aufsehen, zu sehen im FLATZ Museum in Dornbirn.

Die Rettung der medial infantilisierten Gesellschaft kommt heute kaum mehr von den klassischen Sinnbringern. Radikalen Performance-Künstlern vom Format eines Wolfgang Flatz, der in seinen Aktionen die Gedanken der Menschen offenbar macht, zeigen, wie es gehen könnte. In seinem Museum in Dornbirn sind nun unter dem Label "Radikale Gesten“ seine Arbeiten im Kontext zeitgenössischer Positionen zu sehen.

Wie ein Wolf die Schafherde, so umkreiste Wolfgang Flatz nackt, die Hände mit Handschellen gefesselt, das Vernissagepublikum bei jener aufsehenerregenden Performance im Kunstraum Innsbruck im Frühjahr 2011, bei der Flatz 1200-mal seinen Kopf gegen aufgestellte Stahlplatten schlug. Ist es Masochismus auf der Seite des Publikums und Sadismus auf der Seite des Künstlers, solch eine scheinbar sinnlose Aktion in Szene zu setzen? Eine berechtigte Frage. Die Schockwirkung und die öffentlichen Reaktionen, die dem Künstler entgegenschlugen, sind jedenfalls ohne Gleichen. Wenn Online-Foren bis zu 50 Seiten erzürnte Kommentare auf dem üblichen Niveau verzeichnen, dann wird klar, dass Flatz hier den Nerv der Zeit trifft. Die hilflosen bis aggressiven Reaktionen zeigen, dass es im Werk des Vorarlberger Künstlers immer um das Publikum selbst geht, um jene Perversionen, die dort gedeihen, wo jemand immer nur zuschaut, und dabei meint unbeteiligt oder gar objektiv zu sein, und doch durch eben diesen tatenlosen Voyeurismus beteiligt und auch schuldig ist.

Wolfgang Flatz, geb. 1952 in Dornbirn, lebt und arbeitet in München. Nach einer Gold- und Silberschmiedelehre, akademischer Ausbildung in Malerei und Gastprofessuren in Darmstadt, Linz und Leningrad ist er heute freischaffender Künstler. Die Professuren hat er schon lange abgelegt, weil "verbeamtet“ wollte er nicht sein. Eine der ersten Arbeiten von Flatz war 1975 eine Performance an einer Vorarlberger Hauptverkehrsstraße. Im Gedächtnis an einen schweren Autounfall hatte er sich dort mit einem sprechenden Plakat aufgestellt. Im Ländle der 70er-Jahre zog das eine Einlieferung in das psychiatrische Landeskrankenhaus in Rankweil nach sich. Nirgendwo wird deutlicher, wie stark sich die Gesellschaft geändert hat, wenn man bedenkt, dass heute einer der Chefärzte jenes neurologischen Krankenhauses, Primar Dr. Albert Lingg, gerne mit Flatz über seine ureigensten Fachgebiete wie etwa Borderline, Selbstbeschädigung und Suizidalität ins Gespräch kommen möchte.

Aggressive Reaktionen

Und doch, wenn Flatz sich selbst physischen Schmerz zufügt, um seinem Publikum und der ganzen Gesellschaft ihr eigenes Tun vor Augen zu führen, dann hat das etwas von Opfercharakter. Obwohl Flatz aus der Kirche ausgetreten ist, gibt er an, "ganz christlich und katholisch erzogen worden zu sein“, er war viele Jahre Ministrant und arbeitet eben an einer Kapelle für den Skiort Lech. Dem Glauben könne man nie entfliehen. Das Christentum wirke wie ein Korsett, das zwar einengt, aber auch Halt gibt. Flatz: "Mein Ansatzpunkt war ja im Grunde die christliche Ethik und Moral. Das Prinzip der Opferung Jesu passiert auf der Basis von Schuld und Sühne und so funktioniert ja auch die ganze abendländische Kultur.“

Erstaunlich ist auch eine Geschichte, die der Künstler über eine Gruppenausstellung in Florenz erzählt. Dort habe sich ein kleiner untersetzter, italienisch jubelnder Herr über seine Arbeit, die ihn mit den Stigmata Christi zeigt, so angesprochen gefühlt, dass er sich als Ankäufer der Vatikanischen Museen outete und eben dieses Kunstwerk für die päpstlichen Sammlungen erstand. Der Katholik schwankt in Gegenwart des Werkes von Flatz auch zwischen ewiger Verdammung und Heiligsprechung, beides Methoden der Vereinnahmung, um nichts an sich selbst ändern zu müssen.

"Physical Sculpture“

Zur Dornbirner Sammlung, die auf Schenkungen des Künstlers beruht, gibt es zur Zeit drei verdunkelte Schauräume zu Hauptwerken von Flatz und Relikte zu Performances, die im Laufe des Herbstes aufgeführt wurden. Von besonderer Eindringlichkeit und Qualität ist die Performance von Renée Stieger, die coram publico ein ausgestopftes Wildschwein scherte und so in die Haut des Aggressors schlüpfte, um den Kampf der Geistesgeschichte gegen matriarchale Urkräfte zu verdeutlichen.

Wenn Flatz selbst in seinem FLATZ Museum in der Flatz-Bar sitzt, cool, tätowiert, mit riesigen Ringen an den Fingern, dann ist eines klar: Sein Konzept, selbst eine "Physical Sculpture“ zu sein, selbst eines der Ausstellungsstücke zu sein, geht voll auf, ist stimmig und lässt jeden Rezensenten mit unendlichen Fragen nach dem Verhältnis von Künstler und Werk zurück.

Radikale Gesten

FLATZ Museum Dornbirn

bis 31. 3.,Di.-Fr. 14-17 Uhr, Sa. 10-17 Uhr, www.flatz.net

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