Ein Resonanzkörper der Erinnerung

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Ein Dokumentarfilm über Deportationen nach Auschwitz und Majdanek dient als Grundlage für die aktuelle Ausstellung von Susan Philipsz. "Night and Fog" erstreckt sich über zwei Ausstellungsorte: das Kunsthaus Bregenz und den Jüdischen Friedhof von Hohenems.

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Ein Dokumentarfilm über Deportationen nach Auschwitz und Majdanek dient als Grundlage für die aktuelle Ausstellung von Susan Philipsz. "Night and Fog" erstreckt sich über zwei Ausstellungsorte: das Kunsthaus Bregenz und den Jüdischen Friedhof von Hohenems.

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Die Auftritte der 1965 in Glasgow geborenen und seit 15 Jahren in Berlin lebenden Susan Philipsz haben immer unmittelbar mit den jeweiligen Spielorten zu tun. Und da der Direktor des Kunsthauses Bregenz, Thomas D. Trummer, der Turner-Preisträgerin von 2010 im Vorfeld vom Nebel erzählt hat, der im Winter vom Bodensee aufsteigend das Kunsthaus förmlich verschlinge und durch seine semitransparente Außenhaut in einen diffusen Leuchtkörper verwandle, war es für Philipsz klar, dass die Ausstellung etwas mit Nebel zu tun haben musste. Der Leiter des Kunsthauses hat diesbezüglich wohl etwas übertrieben, was aber nicht weiter tragisch ist. Es genügt der zweite, sehr direkte Bezug zu Alain Resnais' 1955 gedrehtem Schoa-Film "Night and Fog", der im Untergeschoß des Kunsthauses zu sehen ist - eine der ersten Dokumentationen des absoluten Grauens, der durch seine Fragen nach Schuld und Mitverantwortung von Mitwissern und Wegschauern brandaktuell ist.

Die Musik zu dem Film hat Hanns Eisler geschrieben. Sie stammt damit von einem, der in seinem Leben immer wieder fliehen musste: als Jude zuerst aus Wien, um nach einer Odyssee durch Europa in Mexiko und dann in den USA Asyl zu finden. Hier lehrte der in der Musikwelt hoch angesehene Vertreter der "Zweiten Wiener Schule" an den Universitäten von New York und Los Angeles, bevor er mit dem Aufkommen des "Kalten Krieges" seiner kommunistischen Überzeugung wegen in den Geruch "unamerikanischer Umtriebe" kam und des Landes verwiesen wurde.

Geschwärzt, vernebelt, in Teilen zerstört

Teile der auf das Format von 192 mal 144 Zentimeter aufgeblasenen Partitur von Eislers Filmmusik hat Philipsz mit streng geheimen Texten des FBI überlagert, in denen es um verdächtige Aktivitäten des rundgesichtigen, blonden "Subjekts" Hanns Eisler, aber auch seinen Umgang u. a. mit Bert Brecht, Arnold Schönberg oder Charlie Chaplin geht. Manche der Texte sind teilweise geschwärzt, andere düster diffus vernebelt. Diese Digital- bzw. Siebdrucke hängen in Ebene eins und drei, im Geschoß dazwischen sind gerahmte Fotos von klassischen Musikinstrumenten zu sehen, die während des Zweiten Weltkriegs teilweise zerstört wurden. Dies ist unschwer als Metapher für den sinnlosen Untergang der europäischen Kultur zu lesen. Vollkommen leer bleiben dagegen die Wände im Erdgeschoß.

In jedem Stockwerk sind zwölf Lautsprecher montiert. Ganz unten wie Standarten direkt an die Wände, in den drei oberen Ebenen hängen sie von der Decke. Die Musik, die aus ihnen erklingt, ist die von Susan Philipsz kunstvoll "zerstückelte" Filmmusik von Hanns Eisler. Jedes Stockwerk ist für ein Instrument bzw. eine Instrumentengruppe reserviert. Das Erdgeschoß für die Bassklarinetten, die Ebene darüber für "normale" Klarinetten. Im zweiten Stock hört der Besucher Trompeten und Hörner, im dritten Violinen. Obwohl die Musik dieselbe ist, klingt sie doch immer anders. Durchsetzt von Pausen, die durch die ganz leise wahrnehmbaren Töne von unten oder oben gefüllt werden, um auf diese Weise das gesamte Gebäude zum Resonanzkörper, "zum Raum der Erinnerung, der kollektiven Geschichte" zu machen, wie die Künstlerin sagt.

Am Friedhof die Flöten

Letztlich muss dieses Zusammenfügen des zuerst Getrennten aber unvollständig bleiben. Erklingen die Flöten aus Eislers Musik zu "Night and Fog" doch mehr als 20 Kilometer vom Kunsthaus entfernt am Jüdischen Friedhof von Hohenems aus Lautsprechern, die hier an zwölf Bäume montiert sind. Angelegt wurde der kleine Friedhof 1617 von der ehemals sehr aktiven jüdischen Gemeinde am ruhigen Rand der Stadt an einem steilen Hang am Waldesrand -und ganz in der Nähe jenes Orts, an dem seit einigen Jahren die Menschen islamischen Glaubens in Vorarlberg ihre letzte Ruhestätte finden. Der ummauerte Jüdische Friedhof, in dem auch Opfer des Holocaust beigesetzt sind, wird durch ähnlich steile Treppen wie das Kunsthaus erschlossen. Dies verbindet die beiden von ihrer äußeren Anmutung her so anderen Spielorte der Schau wunderbar stimmig.

Susan Philipsz - Night and Fog

bis 3. April, Kunsthaus Bregenz

Di - So 10-18 Uhr, Do bis 20 Uhr

www.kunsthaus-bregenz.at

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