Ein schönes Versprechen

Werbung
Werbung
Werbung

Jeder ist willkommen! Wer Künstler werden will, melde sich! Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann, jeden an seinem Ort!“ Der Aufruf zur Theatergründung, den Franz Kafka vor genau 100 Jahren in seinem Romanfragment "Amerika“ erließ, hallt nach bis ins Graz des 21. Jahrhunderts. "Wir sind das Theater, das jeden brauchen kann“ - gibt es ein schöneres Versprechen?

In einer Zeit, die zunehmend auf den Einzelnen vergisst, lancieren heutige Theater immer häufiger das Spiel mit "Jeder und Jedem“. So auch in Graz. Ungewöhnlich ist nur, dass es sich um die Abschlussarbeit eines Regieassistenten handelt, der sich mit seiner ersten eigenen Produktion an keine herkömmlichen Spielregeln halten will.

Zwischen Rolle und Ich

Manuel Czerny (26) kann tatsächlich - das ist das wirklich Ungewöhnliche und zugleich Berührende - "jeden brauchen“: Als Vorlage für seine Inszenierung hat der junge Regisseur Gottfried Kellers Novelle "Romeo und Julia aus dem Dorfe“ gewählt und diesem 1855/56 entstanden Text das Privatleben von 16 Laiendarstellern zwischen 17 und 73 Jahren eingehaucht.

Sechs Monate lang probte man, aus subjektiven Zugängen eine verführerisch-verwirrende Erzählung der Keller-Novelle mit vielen Details zu schaffen, die so wunderbar sind, dass sie eigentlich schon immer da gewesen sein müssen: für einen Theaterabend mit vielen Abschweifungen, Pausen, (ja auch) Längen, (ja auch) Schamgefühlen und Füllwörtern. Hauptrollen werden wie bei einem Staffellauf von einem zum anderen weitergegeben und lassen einen Text ohne klassischen Handlungsbogen, ein Netz aus lose zusammengefügten Erlebnissen, zufälligen Gedanken, Erinnerungsstreifzügen und wiederentdeckten Gefühlen entstehen.

Diese Julias und Romeos zappen fröhlich zwischen Rolle und Ich hin und her, die Übergänge erscheinen da einmal hauchdünn, dann wieder ungewöhnlich tief zu sein. Immer wieder bleibt also das Spiel lose, so lose wie das Leben eben ist. Am stärksten ist der 180-Minuten-Abend dann, wenn die 16 Darsteller zu einem einzigen Theaterkörper verschmelzen. Wenn sie zum Beispiel zum wogenden Weizenfeld werden und die Hand der Regie deutlich zu spüren ist, auch wenn es auf den ersten Blick nach basisdemokratischem Spiel aussieht. Ein schönes Theaterversprechen!

Romeo und Julia auf dem Dorfe

Schauspielhaus Graz, Probebühne

8., 9., 17., 18. Nov., 27. Dez.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung