Ein Sprachforscher ohne Beißhemmung

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Er ist ein Wissenschafter, der oft in Superlativen gekennzeichnet wird: Als "wichtigsten Intellektuellen der Gegenwart“ bezeichnete ihn die New York Times, als "prominentesten politischen Aktivisten der Welt“ die Financial Times, und als am häufigsten zitierte lebende Person wies ihn ein wissenschaftlicher Index in den 1990er-Jahren aus. Noam Chomsky, der am 7. Dezember 85 Jahre alt geworden ist, füllt Vortragssäle, egal wo er spricht: Der amerikanische Linguist und Vordenker der Linken in den USA ist einer der meistgefeierten Intellektuellen der Gegenwart, und zugleich einer der streitbarsten und umstrittensten.

Der emeritierte Professor, der seit 1961 am renommierten "Massachusetts Institute of Technology“ (MIT) in Cambridge bei Boston tätig ist, leitete 1957 eine Revolution der Sprachwissenschaft in die Wege: Damals legte er mit seiner Doktorarbeit den Grundstein für eine innovative Sprachtheorie, die sich "generative Transformationsgrammatik“ nennt: Dieser Begriff umfasst heute sämtliche Theorien, die Chomsky bis Mitte der 1990er-Jahre in der Linguistik begründet hat.

Dieses Theoriemonument führt das Sprechen auf einen angeborenen Sinn für Grammatik zurück, der allen Sprachen zugrunde liegt. Heute wird dieser Ansatz einer mental verankerten "Universalgrammatik“ auch neurowissenschaftlich untersucht. Gingen ältere Linguistik-Lehrbücher noch davon aus, dass die Vorgänge im Sprachzentrum des menschlichen Gehirns der Beobachtung nicht zugänglich sind, liefern Hirnforscher heute Hinweise für die neuronalen Substrate von Chomskys These. Andere Forscher hingegen wenden sich etwa aus evolutionsbiologischer Sicht gegen Chomskys Grundsatz eines angeborenen Spracherwerbs.

Der Raum der akademischen Debatten war dem einflussreichen Linguisten jedoch bald zu klein. Er legte es auch darauf an, leidenschaftliche Kontroversen zu provozieren: Seit seinem Protest gegen den Vietnamkrieg hat sich der Sohn eines jüdischen Lehrerehepaares immer wieder öffentlich zu Wort gemeldet - sei es als Kritiker der US-Außenpolitik und des Vorgehens Israels im Nahostkonflikt oder als Fürsprecher der "Occupy“- und Anti-Globalisierungsbewegung. Sein jüngstes Buch skizziert die Geschichte eines "westlichen Terrorismus“: von Hiroshima bis zum heutigen "Drohnenkrieg“ der USA. Als vielerorts unbequemer Denker wird er eine genuine Inspirationsquelle für kommende Generationen kritischer Intellektueller bleiben - und das erst recht mit 85 Jahren.

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