Ein theatralisches Pfingstwunder

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Das wortlose Handke-Schauspiel "Die Stunde da wir nichts voneinander wussten" hat der ungarische Theaterfantast Viktor Bodó zu einer Bühnendichtung eigener Art gemacht. Bodó ist seit diesem Abend Handke mehr als eine Stunde voraus. 60 Seiten Regieanweisung konnten ihn nicht einbremsen in vorauseilendem Bildeifer die vielen Handke-Figuren einzusammeln, neu zu erfinden, mit Geschichten auszustatten, die erzählbar sind in einer Welt der kleinen und großen Wunder.

Und das Schweigen? Auch dieses Ohne-Worte-Spiel im Grazer Schauspielhaus, 130 Minuten lang, ist eine Art von Sprachwunder, als ob jene grandiosen 15 Gestalten auf der Bühne - ein Teil aus dem Grazer Schauspielhaus, ein anderer von Viktor Bodós gegründeter Theatergruppe Szputnyik Shipping Company - bei einem Pfingstwunder zugegen wären. Sie reden nicht in Zungen, sondern sind begabt, mit derben Blicken zu sprechen, mit fuchtelnden Armen und Beinen zu lallen, mit ihren lüsternen Körpern zu stammeln. Nicht zäh und schwer, sondern schnell und pulsierend fliegen die Szenen dahin und immerzu braust Musik über diesem lebenden Bild (Klaus von Heydenaber).

Beim heiligen Handke: Bodós Figuren sind von dieser Welt. Der Platz ist die Welt. Pascal Raichs Bühne ist keine südliche Piazza, kein österreichischer Heldenplatz, auch keine idyllische Hochebene. Dieser Ort des Schweigens ist eine kleine Stadt, aus rollenden Containerräumen gebaut, die Einblick geben in ein Kaffeehaus, ein Museum, ein Krankenzimmer, ein Büro, ein fahrendes Zugabteil und eine Damentoilette. Wenn wir es wissen dürfen, was dort geschieht, dann werden die Container in die Mitte gezogen. Es wird darin gesoffen, geweint und viel gearbeitet.

Platz für Alltagsmenschen

Die Geschichten beginnen sich wie ein feines Netz - von einer Handkamera (Christian Schütz) eingefangen, auf Leinwand übertragen - zu verspinnen, so stark, dass man meinen könnte, es würden all die Umherlaufenden und Vor-sich-hin-Irrenden aufgefangen werden. Man bewahrt sie vor dem Abgrund der Zufälligkeit. Auf Bodós Weltenplatz finden sich im Unterschied zu Handke weder biblische noch märchenhafte Gestalten wieder - kein Papageno, kein Abraham, kein gestiefelter Kater ist unter ihnen. Diesen Platz bewohnen Alltagsmenschen: eine Kellnerin, eine Sekretärin, eine Schönheit, ein Tourist, ein Elektriker, ein Gentleman und ein Raufbold. Aber nicht immer ist, was geschieht, alltäglich. Und mehr ist nicht möglich. Nicht bei Bodó und seinen Figuren, die ihre Sprache offenbar erst seit diesem Abend verloren haben. Sie bringen kein Wort heraus, nur ein heftiges Zittern überkommt sie zu Beginn, wenn sie sich einander zuwenden.

Die Sprachlosigkeit unterscheidet diese Figuren von Handkes Protagonisten, bei denen das Nicht-Reden der eigentliche Zustand ist, dem eine Faszination anhängt. Davon wollen Bodós Figuren nichts verstanden wissen - sie ziehen ein lautes Leben ohne Sprache vor. Mehr können wir nach zwei Stunden Sprach entleertem Bildtheater nicht wissen.

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