Ein Thriller zwischen DEMENZ UND SCHOA

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Atom Egoyans Film "Remember" überzeugt als Auseinandersetzung mit Demenz auf hohem Spielfilmniveau. Die Thematisierung der Schoa hingegen gerät zur Kolportage.

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Atom Egoyans Film "Remember" überzeugt als Auseinandersetzung mit Demenz auf hohem Spielfilmniveau. Die Thematisierung der Schoa hingegen gerät zur Kolportage.

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Atom Egoyan ist für Filme mit verschlungenen Handlungsverläufen bekannt. Der Plot seinens neuen Films "Remember - Vergiss nicht, dich zu erinnern" passt da ins Genre des kanadisch-armenischen Regisseurs. Und ein Meister der Darstellung vielschichtiger Abgründigkeit ist Egoyan hier auch einmal mehr.

Zev, ein rüstiger, aber dementer Neunzigjähriger, lebt in einem Altersheim und hat eben seine alles geliebte Frau verloren. Während er mit der Gefährtin in der betreuten Wohnung noch einigermaßen den Alltag hinbekommen hat, droht ihn der Verlust seiner Lebensstütze vollends aus der Bahn zu werfen und ins Land des Vergessens zu katapultieren. Doch ein anderer Heimgenosse, Max, ebenso uralt, aber nicht mehr mobil und an der Sauerstoffflasche hängend, verschafft Zev jenen Auftrag, der ihn geistig wach hält. Denn Zev und Max sind Auschwitz-Überlebende, und Max hat den sadistischen Aufseher ihres KZ-Blocks ausfindig gemacht, der unter dem Namen Rudy Kurlander bislang unbehelligt lebt. Allerdings hat Max vier verschiedene Rudy Kurlander ausgemacht, die verstreut im Land leben.

Nach Max' minutiösen Aufzeichnungen macht sich Zev nun quer durchs Land auf den Weg, immer wieder, aber doch nicht zu oft von der Demenz eingeholt, um den Kriegsverbrecher aufzuspüren und mit einer Glock-Pistole, die er sich in einem gleichfalls von Max erkorenen Waffengeschäft besorgt, zu erschießen. Und Zev gelingt es tatsächlich, die vier Kurlander aufzuspüren, wenn auch nicht mehr alle am Leben sind.

Gesellschaftsrelevantes Thema

Würde man den Plot bloß aus dem Blickwinkel der Entwicklung eines Demenz-Betroffenen, und wie auch dieser geistig (und körperlich) über sich hinauswachsen kann, betrachten, dann wäre "Remember" ein großartiger Film - ein Thriller, der das zunehmend gesellschaftsrelevante Thema der Demenz als Thrillerhandlung spiegelt und gleichzeitig Möglichkeiten und Grenzen dabei aufzeigt. Atom Egoyan filmt das Ganze als Roadmovie eines Greises, die langsamen Kamerfahrten und leisen Töne verstärken den Plot durch die diesem Regisseur zukommende Eigenart.

Ganz besonders lebt das alles von der Darstellung des mittlerweile 86-jährigen Christopher Plummer, dessen Schauspielkunst durch das hohe Alter mitnichten beeinträchtigt erscheint. Schon allein deswegen ist "Remember" ein sehenswerter Film.

Der allerdings auch hochproblematisch ist. Und zwar durch das zweite Standbein des Plots: "Remember" ist eben nicht nur ein Demenz-Thriller, sondern er nimmt auch die Schoa als Folie seiner Handlung: Dabei handelt es sich nicht um ein historisches Problem. Denn es leben ja tatsächlich gerade noch die allerletzten Schergen des NS-Regimes, alle etwa im Alter der Filmfigur Zev. Und es sind die letzten Versuche von Organisationen wie dem Simon Wiesenthal Center in Los Angeles im Gang, dieser Täter habhaft zu werden.

Das Problem in "Remember" liegt daran, dass die Schoa als Mittel der Kolportage missbraucht wird: Es geht Egoyans Film nicht um eine differenzierte Aufarbeitung oder eine Ausleuchtung der Abgründe des Täterlebens nach dem Fall der NS-Diktatur. Sondern Auschwitz wird zum Stichwortgeber eines an sich spannenden Krimis degradiert. Und das kann und sollte auch anno 2016 keine filmische Option sein. Ist es im vorliegenden Fall aber doch geworden.

Das liegt keineswegs an den Schauspielern, denn nicht nur Christopher Plummer reüssiert in "Remember": Martin Landau - er wird demnächst sogar schon 88 -ist als Max dem Darsteller von Zev ebenbürtig. Die deutschsprachigen Schauspieler Bruno Ganz, Heinz Lieven und Jürgen Prochnow machen - durch die Maske genial gealtert - ihre Sache als Rudy Kurlander Nr. 1,2, und 4 äußerst gut.

Künstlerischer und politischer Höhepunkt

In einer Szene blitzt dann doch auf, wie ein Thriller mit Schoa-Folklore auf eine Reflexionsebene gerät, die dem Thema angemessen ist: Statt des verstorbenen Rudy Kurlander Nr. 3 trifft Zev dessen Sohn John ("Breaking Bad"-Star Dean Norris) an: Wie sich der Auschwitz-Überlebende und der verkrachte Cop, der sich als veritabler Neonazi entpuppt, dann matchen, stellt zweifelsohne den künstlerischen und politischen Höhepunkt von "Remember" dar.

Dass der Plot dann mit einer Wende zu Ende geht, ahnt man zwar schon - die finale Volte verstärkt aber den Befund: Bei "Remember" geht es um einen gut gemachten Thriller mit exzeptionellen Schauspielern. Und, meinetwegen, um die Auseinandersetzung mit Demenz auf hohem Spielfilmniveau. Die Schoa dient dabei nur als Kulisse. Und das ist leider nicht gut so.

Remember - Vergiss nicht, dich zu erinnern CDN 2015. Regie: Atom Egoyan. Mit Christopher Plummer, Martin Landau, Bruno Ganz, Heinz Lieven, Jürgen Prochnow. Polyfilm. 95 Min.

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