Eine festgefügte Zweiheit …

Werbung
Werbung
Werbung

Wie fühlt es sich an, zu einer religiösen Gruppierung zu gehören, die nicht selbstverständlich vom Staat anerkannt und gefördert wird? Ich weiß es nicht. Aufgewachsen bin ich in den evangelischen Landeskirchen von Baden und Württemberg. Wer damals in den Sechziger- und Siebzigerjahren im südwestlichen deutschen Bundesland die Kirchensteuern wie einzog, wer für die Gehälter der Religionslehrerinnen und die Erhaltung der kirchlichen Gebäude zuständig war, interessierte mich nicht wirklich. Es war klar: Am Sonntag läuten mitten im Dorf die Glocken, dann ist Gottesdienst, und irgendwer sorgt dafür, dass der Konfirmandenunterricht und sonst noch einiges stattfindet.

Heute gehöre ich zur evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen. Als studierte Theologin weiß ich zwar ein bisschen besser Bescheid über die Jahrhunderte alten und entsprechend undurchdringlichen Verbandelungen von Landeskirche und Kirchenland. Aber das Grundgefühl ist dasselbe geblieben: Meine Kirche ist einfach da, mitten im Dorf, weithin sicht- und hörbar. Allen, die nicht dazu gehören wollen, rufen die Glocken von oben herab zu: "Selber schuld! Wer eine Extrawurst will, muss halt zusehen, wo sie bleibt!“ Ja sicher: Es gibt da drüben noch den katholischen Turm, an dem diese zweifelhafte Einladung zur Uniformität abprallt. Eine festgefügte Zweiheit ist der Ort, in dem ich wohne. Wo die beiden muslimischen Zentren und die Freikirchen sind, wissen nur Eingeweihte, eine Synagoge gibt es nicht. Und weiß ich, zum Beispiel, wo die Asylwerberinnen aus Äthiopien beten?

Danke, Walter Homolka, für die Denkaufgabe, die auch eine Fühlaufgabe ist: Was macht das mit mir, dass ich zu denen gehöre, die sich um die Sichtbarkeit und Finanziertheit ihrer Gemeinschaft (noch) keine Gedanken machen müssen?

Die Autorin ist Schriftstellerin u. evang. Theologin in der Schweiz

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung