Eine Frage des Stils?

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Frömmigkeitsstile

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Frömmigkeitsstile

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Der eine liebt Taizélieder, die andere steht auf Paul Gerhardt. Mancher findet Kerzenlicht extrem kitschig, während andere sich unerträglich bevormundet fühlen, wenn ihnen jemand drei Minuten Stille verordnet. Jesuspop ist umstritten, Gospelsound etwas weniger, Familiengottesdienste sind zu laut, den Sonntagmorgenklassiker hingegen kennt man schon, etwas Abwechslung wäre erwünscht, aber bloss nicht diese ökumenische oder gar interreligiöse Anbiederei. Darf’s eine Thomasmesse sein? Aber bitte bloß kein Stuhlkreis mit Steinen und Tüchern in der Mitte! Kreistanz? Nein danke! Für mich am liebsten ganz schlicht! Kein Liturgiezettel, wenn ich bitten darf! Die rascheln und lenken ab. Wobei: immer noch besser als Powerpoint oder Dosenmusik im Gottesdienst. Bin ich denn hier im Management-Training? Und diese geschmacklosen Collagen an der Wand! Am allerliebsten: Johann Sebastian!

Kürzlich traf ich beim Einkaufen eine ältere Dame. Sie beklagte sich über diese fürchterlich verkopften protestantischen Gottesdienste. Kein bisschen Gefühl, echt körperfeindlich! Wen wundert’s, dass in Wattwil niemand mehr in den Sonntagsgottesdienst geht... - Vermutlich ist meine Gesprächspartnerin gar nicht auf die Idee gekommen, dass ich, anders als sie, des Öfteren am Sonntag Morgen in meiner Kirche anzutreffen bin: in gut frequentierten Gottesdiensten, die zuweilen so gefühlig daherkommen, dass für einen interessierten Kopf nicht viel übrig bleibt.

Ist Frömmigkeit eine Frage des Stils? Kann ich Gottesdienst nur feiern, wenn es "für mich stimmt“? Und zwar haargenau und hundertprozentig? Ist die Empfindlichkeit hinsichtlich frömmigkeitsstilistischer Feinheiten eine Herausforderung für Kirchenprofis? Oder ein Vorwand, um sich nicht der Sache des Glaubens aussetzen zu müssen?

* Die Autorin ist Schriftstellerin u. evang. Theologin in der Schweiz

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