Eine Politik der Täuschung?

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Generationengerechtigkeit

Die Folgen der Finanzkrise seit 2008 werden uns noch lange beschäftigen. Die Sicherheit der nach 1945 Geborenen scheint einer Vielzahl komplexer Risiken gewichen zu sein, mit denen sich unsere Kinder und Kindeskinder werden auseinandersetzen müssen. Zu Recht wird die Frage gestellt, ob das Geschäftsgebaren im Finanzsektor ethischen Maßstäben immer gerecht wurde. Wie ist etwa die Verbriefung wenig werthaltiger Hypothekendarlehen zu beurteilen, die Banken auf dem Kapitalmarkt platziert haben? Ist der Weiterverkauf dieser Forderungen etwa nicht als genevat da’at zu betrachten, als Täuschung? Nach jüdischem Recht ist alles streng verboten, was andere zu falschen Schlüssen verleitet und eine akkurate Bewertung verhindern könnte. Es ist eine gängige Ansicht, dass das Verbot der Täuschung auf dem biblischen Verbot "Du sollst nicht stehlen“ (Lev 19,11) gründet (Chullin 94a; R. Elieser von Metz [12. Jh], Sefer Yereim, Kap. 224). In Leviticus steht das Verbot im Plural (lo tignowu), während in den Zehn Geboten der Singular benutzt wird (Ex 20,13: lo tignow). Darauf gründen mehrere Rabbinen die Anwendung des Verbotes auf eine große Bandbreite von Sachverhalten, auch Täuschung. Die Weitergabe der Risiken aus den Hypothekendarlehen durch so besicherte Wertpapiere ist aus jüdischer Sicht höchst fragwürdig gewesen. Eine Verkettung höchst leichtsinniger Transaktionen, die darauf abzielten, unrechten Gewinn zu erzielen, hat also zu der heutigen Staatsverschuldung geführt.

Der Staat hat Akteure des Finanzmarktes gestützt, um keine Kettenreaktion auszulösen. Deshalb dürfen wir den Bankensektor nicht aus der Pflicht entlassen, den Schaden für die Gesellschaft zu bereinigen. Wir aber müssen uns fragen, ob unser Wirtschaften unsere Kinder nicht der Chancen beraubt, die wir selbst gehabt haben.

Der Autor, Rabbiner, leitet das Abraham-Geiger-Kolleg in Berlin

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