Erfolgsprinzip Schnecke

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Als Symbol der Langsamkeit wird die Schnecke oft zu selbiger gemacht. Dabei ist das reduzierte Tempo ein biologischer Vorteil.

Das "Schneckentempo“ ist international: Genau wie im Deutschen ist die Schnecke auch in anderen Sprachen der Inbegriff der Langsamkeit. Auf Englisch gibt es die "Snail-Mail“ und auf Bosnisch, Kroatisch und Serbische bewegt man sich im Schneckenschritt ("puˇzevim korakom“). Auch in Frankreich geht man langsam "comme un escargot“, also wie eine Schnecke. Als Langsamkeits-Symbol hat sich auch die Slow Food-Bewegung das Weichtier zum Logo gemacht. Doch obwohl das Schneckentempo ein geflügeltes Wort ist: Naturwissenschaftliche Fachliteratur zu diesem Thema ist spärlich, wie Anita Eschner selbst überrascht feststellt. Die Wissenschaftlerin arbeitet in der Mollusken-Sammlung des Naturhistorischen Museums und ergänzt augenzwinkernd: "Es ist natürlich mühsam, eine Schnecke zu beobachten.“ Allerdings hält sie fest, dass die Schnecke in unseren Breiten definitiv zu den langsamsten Tieren zählt.

Drei Meter pro Stunde

Eschner hat eine Tabelle mitgebracht, in der Höchstgeschwindigkeiten ausgewählter Tiere aufgelistet sind. Darin ist die Weinbergschnecke in der Tat das langsamste Tier Mitteleuropas. Langsamer ist nur noch der Seestern, er bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von gerade einmal einem halben Meter pro Stunde. Im Vergleich dazu ist die Weinbergschnecke in der Tat schnell unterwegs: Sie schafft in der gleichen Zeit 3 Meter. Im Übrigen ist auch das Faultier weniger langsam unterwegs, als man meinen möchte: In einer Stunde kann es rund 150 Meter hinter sich legen. Alles aber ist eine Frage der Relation, denn so amüsant die Liste ist, die Geschwindigkeitsangaben werden nicht in Relation zur Größe des Tieres gesetzt. Dann nämlich relativeren sich auch Geschwindigkeitsangaben zu Schildkröten, die beispielsweise auf Italienisch, Spanisch oder Türkisch die Rolle der Schnecke erfüllen: Dort bewegen sich Menschen im "Schildkrötentempo“ fort.

Die Kulturanthropologin Klara Löffler schätzt, dass es noch einen viel pragmatischeren Grund gibt, warum die Schnecke in mehreren Sprachen zum sprachlichen Symbol für Langsamkeit geworden ist: "Die Schnecke ist einfach omnipräsent, sage ich als Gärtnerin.“ Löffler beschäftigt sich am Institut für Europäische Ethnologie unter anderem mit Freizeitforschung und hat vor einigen Jahren eine Ausstellung zum Thema Müßiggang mitgestaltet. "In der so genannten abendländischen Kultur spielt die Fabel eine wichtige Rolle, vor allem in der Antike. Tiere handeln die Moral ab, sie haben den Part, Dinge abzuwägen“, erklärt Löffler. Auch in Kinderbüchern komme die Schnecke oft vor, ergänzt sie, dort erfüllt sie ebenfalls die Aufgabe, Dinge zu erzählen oder die Welt zu erklären. Langsam sein steht hier für schlau sein, sich Zeit lassen, abwägen. Erst im Laufe der Zeit wurde Langsamkeit als negative Eigenschaft wahrgenommen - und die Schnecke zum Symbol dafür. "Je mehr die Morallehre den Fleiß und das Vermeiden von Langsamkeit betont, desto mehr wird die Schnecke auch zum Symbol für Lasterhaftigkeit. Gewendet hat sich das Bild mit der christlichen Morallehre. Im Karneval ist die Schnecke dann überhaupt das Tier des Teufels“, so Löffler.

Sexuelle Konnotation

So relativ wie die Wahrnehmung von Geschwindigkeiten ist, so vieldeutig sind die Konnotationen der Schnecke: "Als die Naturwissenschaften an Bedeutung gewannen, und man herausfand, dass die Schnecke ein Zwitter ist, wurde die Symbolik auch sexuell aufgeladen, nicht zuletzt von Sigmund Freud“, weiß Löffler.

Weniger negativ beladen ist die Schnecke in der Kulinarik: Während sie früher eine Armenspeise war, ist sie inzwischen zur Luxusspeise geworden: "In den 1960er Jahren war es en vogue, eine Schneckenzange zu Hause zu haben.“ Als aktuelleres Beispiel für die schillernde Symbolik der Schnecke schildert Klara Löffler eine Szene aus dem Film "Pretty Woman“, in der Julia Roberts an einer Schneckenzange scheitert, und die Schnecke durchs Lokal fliegt.

Doch zurück zur Langsamkeit: Was haben Schnecken eigentlich davon, dass sie so langsam sind? "Der Vorteil ist, dass sie alles erreichen können, ohne sich stressen zu müssen“, antwortet Mollusken-Forscherin Eschner. "Sie haben sehr wendige Körper und können so bestens in alle Winkel und Ecken und auch überall hinauf kommen, ja, sie können sich sogar kopfüber weiterbewegen.“ Dass die Schnecke das kann, hat mit dem Schleim zu tun, der allerdings nicht nur als Klebemittel dient. Er sorgt auch dafür, dass sich Schnecken besser fortbewegen können, weil er die Reibung reduziert und somit auch als Gleitmitteln fungiert. Einen Nachteil könne sie dadurch nicht haben, meint sie: "Im Gegenteil, es muss ein großes Erfolgsprinzip sein, wenn sie sich so lange bewähren kann.“

Nur keine Eile

Immerhin gibt es Schnecken schon seit mehr als 500 Millionen Jahren auf der Erde und somit waren sie schon vor den Dinosauriern da. "Das können nicht viele Tierarten von sich sagen. Es hat sich lange bewährt und es gibt für sie keinen Grund, von ihrer Geschwindigkeit abzukommen.“ So schwer es sein mag, bei freiem Auge Unterschiede zu messen, doch die Schnecke kann sich durchaus schneller bewegen: "Es ist alles eine Frage des Untergrunds: Ist dieser feucht, kann die Schnecke ein ziemliches Tempo zulegen. Ist er aber trocken, ist es für sie eine ziemliche Herausforderung, sich fortzubewegen.“ "Regenwetter ist das ideale Schneckenwetter“, meint die Naturwissenschaftlerin schmunzelnd.

An Tempo legen Schnecken aber nur zu, wenn sie unbedingt müssen, etwa bei der Jagd oder der Fortpflanzung. Sonst lassen sie sich Zeit. Eschner erklärt: "Wenn alles passt, besteht auch kein Grund zur Eile. Warum sollte sie also ihre Energien verschwenden?“

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