EUROphorisches Ballgeflüster

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Vor der laufenden EURO gibt es in diesen Tagen kaum ein Entkommen, auch wenn man das Thema vorsorglich meidet und in Oasen der Stille flüchtet. Der Taxifahrer, der mich zum Bahnhof chauffiert, wirkt echauffiert, wenn er vom Spiel des Vorabends berichtet. Der begeisterte Freizeitsportler bevorzugt bis auf weiteres die Horizontale auf der Couch und lässt andere spielen: Soletti immer dabei!

Die Schlagzeilen des Boulevards wechseln abrupt vom beschwörenden "Jetzt hilft nur ein Sieg!" zum vernichtenden "AUS!" Was uns aus den Stadien entgegentönt, erinnert bisweilen bedenklich an Kriegsparolen. Das Wort Schlachtenbummler entfaltet eine brisante Lesart: Aber wer bummelt da? Ganz im Gegenteil: Sieg oder Niederlage, Aufsteigen oder Ausscheiden wird zum existenziellen nationalen Problem. Prestige oder Stigma steht auf dem Spiel, das längst keines mehr ist. Da gilt es schon als Triumph der Einsicht wie der waltenden Logistik, wenn der Ernst nicht blutig wird. Sein oder Nichtsein ist in der EUROphorie eine triftige Alternative, keine rhetorische Frage. Auch der Wortschatz hat sich um Neuwörter erweitert: Fanzone oder Fanmeile haben schon fast Duden-Reife erlangt. Public Viewing und Video Wall bereichern das Angebot an Anglizismen.

Da die Innenpolitik gerade ebenfalls von Kampfansagen und Reizklima geprägt ist, nimmt der politische Kommentar gerne Anleihen beim Jargon des Fußballplatzes: Da landet ein missglückter Pass beim Gegner oder die Vorlage ist zu steil. Dem gestreckten Bein folgt sogleich das Revanchefoul. Manchem gefährdeten Akteur droht die Ersatzbank oder der Ausschluss, wenn er nicht mit der gelben Karte davonkommt. Auch führt missglücktes Rückspielen des runden Leders unverhofft zum Eigentor und ein leichtsinniges Abseits verhindert den Ausgleich. Kritische Beobachter des Zustands der großen Koalition wünschen sich häufig einen baldigen Schlusspfiff ohne Nachspielzeit oder gar Verlängerung. Auch von einem Wechsel in der Teamleitung - Manager oder Trainer - geht die Rede.

Aus dem vertrauten Idiom früherer Zeiten ist manches geschwunden. Wer kennt etwa heute noch den Mittelläufer oder den Rechtsverbinder? Den Linienrichter nannte der Volksmund damals respektlos Outwachler. Dafür kam dem Torhüter ein fast mythischer Nimbus zu: Kafka und die Bibel lassen grüßen.

Der Autor ist Professor für Sprachwissenschaft an der Universität Salzburg.

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