Fragilität der offenen Gesellschaft

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Das 2013 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Erstlingsstück "Geächtet" des amerikanischen Schriftstellers mit pakistanischen Wurzeln Ayad Akhtar gehört gegenwärtig zu den meist gespielten Stücken deutschsprachiger Bühnen. Nun hat der Broadway-Hit auch Österreich erreicht. Tina Lanik besorgte die etwas zu brav und zurückhaltend geratene österreichische Erstaufführung auf der großen Bühne des Burgtheaters. Dort ist auf einer leicht zum Publikum hingeneigten Spielfläche eine Wohnzimmerlandschaft aufgebaut, die in ihrem durchgängig hellen Einheitsgrau etwas zu unentschieden wirkt zwischen Ortsbeschreibung, Andeutung des Wohn-Chics eines erfolgreichen New Yorker Upper-Class-Paares und symbolischem Verweis.

Die zentrale Figur des Stückes ist Amir Kapoor (Fabian Krüger), ein innerlich zerrissener, vom Hass auf seine Herkunft gequälter Wirtschaftsanwalt. Denn er hat pakistanische Wurzeln, die er (nicht nur) seinem Arbeitgeber verheimlicht. Früher hieß er einmal Abdullah, aber der Name erschien ihm karrieretechnisch hinderlich und er sollte recht behalten.

Als er dem Drängen seiner angloamerikanischen Frau, einer zielstrebigen Künstlerin, die ausgerechnet im Spiritualismus der islamischen Kunst ihre Inspirationsquelle zu finden glaubt, aus Liebe nachgibt und einen Iman berät, dem vorgeworfen wird, dem islamistischen Terror nahe zu stehen, ist das der Anfang seines bitteren Niedergangs. Bei einem Abendessen mit dem jüdischen Kurator Isaac, den Nicholas Ofczarek als selbstgefälligen, virilen und etwas verschlagenen Intellektuellen spielt, einem Querdenker aus Prinzip, und dessen Frau, der afroamerikanischen Arbeitskollegin Amirs (und wie sich zeigt auch seine Konkurrentin), gerät die Diskussion außer Kontrolle und das Stück nimmt seine schlimmstmögliche Wendung, bei der Amir seinen Job, sein Appartement und seine Frau verliert.

Unübersichtliche Konfliktlinien

Überaus raffiniert zeigt Akthar, wie unübersichtlich die Konfliktlinien verlaufen, wie fragil der soziale Frieden in unseren multiethnischen und multikulturellen Gesellschaften ist, wenn es um Fragen der Herkunft, Religion, Zugehörigkeit, Prägung und Assimilation geht. Er zeigt, wie sehr der Riss in der Gesellschaft bis ins Individuum hineinreicht und wie leicht selbst eine Gruppe von weltoffenen, toleranten Menschen auf einmal in ein 'wir hier' und 'ihr da' zerbricht, wenn die Umgebung, wie es im Stück einmal heißt, nicht mehr neutral ist und Zugehörigkeit nach äußerer Erscheinung und nicht nach innerer Überzeugung beurteilt wird.

"Disgraced", wie das Stück im amerikanischen Original etwas präziser heißt, ist ein well-made play mit beträchtlichem Verstörungspoteniial, das es dem Zuschauer nicht leicht macht, Position zu beziehen, und schon deshalb eine Auseinandersetzung lohnt.

Geächtet Burgtheater 10., 13., 21., 27. Dezember

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