Freiheit gebiert Kolosse

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Das Wiener Volkstheater zeigt Schillers Räuber, gewidmet von der BAWAG PSK. Regisseur Calis geht aber am aktuellen Zeitkern vorbei.

Wahrscheinlich bloßer Zufall, entbehrt die Widmung des Sponsors nicht einer gewissen Pikanterie und steigert unsere Erwartungen. Denn bekanntlich verstand Schiller das Theater als moralische Anstalt. Als eine Schule des Volkes, so hoffte er, erlaube es Einblicke in das Wesen der Menschen, ihre moralischen Gefährdungen, die er aufs engste mit den Werten der Gesellschaft, dem Sozialen, der Politik und der Religion verflochten wissen wollte.

Um es vorweg zu nehmen: Wir sind enttäuscht worden. Der deutschtürkische Regisseur Nuran David Calis führt den Kampf der leidenschaftlichen Herzen gegen die Wasser predigenden und Wein saufenden Heuchler dieser Welt am aktuellen Zeitkern vorbei. Zwar merkt man der ungestümen Regie die Empörung über den Missbrauch der Freiheit, über Niedergang von Sitte und Anstand, über die "ewige Ungleichheit in der Welt" allenthalben an. Aber Calis zeigt uns den Konflikt zwischen dem bindungslosen Einzelwillen, der in Widerspruch gerät zu den gesellschaftlichen Werten, als religiöses und nicht, wie es auch möglich und eben prickelnder wäre, als moralisches Dilemma.

Dabei scheut der Regisseur keinen Aufwand, dem Stück um die ungleichen Brüder Moor-dem kalt räsonierenden Bösewicht Franz (Michael Klammer vermag ihm die kolossale Monstrosität der Vorlage kaum zu geben) und dem Idealisten Karl (Karsten Dahlem), dem, nach einer Intrige seines Bruders, das Vertrauen in die Ordnung der Welt zerbricht und sich fortan als Räuber zum Racheengel an der Gesellschaft geriert-Zeitgenossenschaft einzuhauchen. So castete er eigens 14 arbeitslose Jugendliche aus der Wiener Hip-Hop-Szene, um der Räuberhorde ein authentisches Milieu zu unterlegen. Das Choreografieren von Massenszenen ist seine Sache aber ganz offentsichtlich nicht. Von den gekonnten Rap-und Breakdance-Einlagen einmal abgesehen, gruppieren sich die schönen Leiber eher unmotiviert und in ermüdenden Wiederholungen.

Auch will sich diese "reale" Sphäre nicht so recht mit Schillers Theatersprache vertragen, und so bleibt sie befremdlich ornamental, ein bloßer Oberflächenreflex. Im Gesamt gesehen liegt die Schwäche dieser körperbetonten Inszenierung am Zuviel der angewendeten Mittel, bei gleichzeitig mangelnder Genauigkeit ihres Gebrauchs als theatrale Zeichen. Film, Schrift, Licht, Sound, Blut und Farbe verbinden sich zu keinem Ganzen.

Eine Erkenntnis aber liefert Schiller: während Karl sich am Ende doch sittlicher Erkenntnis öffnet, glauben wir die Pendants in der Wirklichkeit gegen solche Anfechtungen des Gewissens längst immun, so dass wir erkennen: die Welt ist der Niedertracht ausgeliefert!

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