Gefühlsgestrüpp

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Leonie Ossowski hat sich im neuen Buch zuviel vorgenommen.

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Leonie Ossowski hat sich im neuen Buch zuviel vorgenommen.

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Eines der ältesten Themen, die Dreiecksgeschichte, wird von Leonie Ossowski im Zweiten Weltkrieg angesiedelt. Die Niederschlesierin wurde durch Romane wie "Die große Flatter" oder "Herrn Rudolfs Vermächtnis" bekannt. Ihr neuer Roman um Liebe und Rivalität zweier Schwestern kommt trotz der spannenden Handlung nicht richtig in Schwung. Ihre Gefühle sind detailliert dargestellt, das bringt die Schwestern dem Leser aber nicht näher. Fremdheit, Unverständnis, Ratlosigkeit bleiben zurück. Dadurch wirkt der Roman über weite Strecken etwas belanglos. Dabei erzählt die Autorin durchaus gekonnt.

Halina heiratet den jungen Ingenieur Radek, doch zweifelt ihre Schwester Teresa an der Liebe der beiden. Die Ehe, ohnehin dadurch belastet, daß Halina ihre Eltern pflegen muß, gerät bald in die Krise, während eine heftige Leidenschaft zwischen Teresa und Radek entbrennt, von der Halina allerdings nichts weiß. Polen wird von den Deutschen besetzt und die Schwestern werden bei einer Razzia verschleppt. Dank der Hilfe eines polnischen Zwangsarbeiters entgehen sie dem Konzentrationslager und kommen als Dienstpersonal auf ein Gut in Deutschland. In der Enge des Zimmers, das sie bewohnen, kommt es zu Kollisionen der Charaktere. Die Schwestern, so unzertrennlich sie vor dem Krieg waren, entwickeln nun immer mehr Abneigung gegeneinander. Das Geheimnis der Affäre, das von Teresa noch immer gewahrt wird, erschwert die Situation.

Im Gegensatz zu ihrer Schwester ist sie davon überzeugt, daß Radek bei der Razzia getötet wurde und weigert sich, zu arbeiten. Halina trägt die Verantwortung für sich und ihre für verrückt gehaltene Schwester allein. Ihre Geduld und Hilfsbereitschaft werden durch die exzentrische Teresa immer wieder auf eine harte Probe gestellt.

Leonie Ossowski bescheibt Menschen an der Grenze ihrer psychischen Belastbarkeit. Gefängnisse, die keine Gitterstäbe brauchen. So unterschiedlich die Käfige der Schwestern sind, so unterschiedlich werden sie mit der Gefangenschaft fertig. Halina, die schon durch die Pflege der Eltern an Einschränkungen gewöhnt war, fällt es leichter, sich anzupassen. Teresas Eigenheiten werden im Dienerzimmer intensiver. Sie beginnt unter Halluzinationen zu leiden, in denen sie ihren Liebhaber oder ihre Eltern sieht.

Die Entwicklung dieses Charakters wird im Lauf des Romans immer schwieriger nachzuvollziehen. Viele Fragen bleiben für den Leser offen. Teresa wird nicht von Beginn an als jemand dargestellt, der zum Ausweichen in die Krankheit neigt. Während ihre Schwester sich in dem Haus mehr und mehr einlebt, bleiben Teresas Reaktionen unverständlich. Die Psychologie der Schwestern gerät der Autorin außer Kontrolle.

Das restliche Personal wird einseitig gezeigt und bleibt blaß. Dadurch entstehen Klischees, verglichen mit den Protagonisten wirken die übrigen Personen simpel. Die Spannung erreicht kurz vor Ende des Krieges ihren Höhepunkt. Teresa, die ihr Geheimnis nicht mehr erträgt, beichtet der Schwester die Beziehung mit Radek.

Halinas Reaktion bringt einen völlig neuen und unerwarteten Charakterzug ein. Nachdem sie sich über fünf Jahre für die Schwester aufgeopfert und versucht hat, deren Eskapaden zu akzeptieren, wendet sie sich plötzlich völlig von ihr ab. Innerhalb weniger Tage wird der Krieg beendet, aber auch die Freundschaft der Schwestern.

Der Roman könnte fesseln, hätte sich die Autorin nicht im Gestrüpp der Gefühle ihrer Geschöpfe rettungslos verfangen und dabei selber den klaren Blick verloren.

Das Dienerzimmer Roman von Leonie Ossowski, Hoffmann und Campe, Hamburg 1999, 319 Seiten, geb., öS 291.-/e 21,15

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