Gemütstheaterabend für Leichtlächler

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Das Grazer Schauspielhaus spielt Thomas Bernhards Roman "Der Untergeher“ zehnhändig: sicherlich gewagt - aber dennoch leicht zu überhören.

Katastrophendenker, finsterer Idylllyriker, alpenländischer Beckett, Meister der Übertreibungen - das alles sind gängige Thomas-Bernhard-Etikettierungen, die ihm auch 24 Jahre nach seinem Tod noch anhaften. Mitunter deutlicher als die Tatsache, dass die Substanz seines Schreibens letztlich das Schreiben selbst war.

In Bernhards Büchern ist oft der Erzähler, obwohl er ebenso verurteilt ist wie die anderen, der einzige Überlebende. Und dass er erzählt, ist der Grund seines Überlebens, so wie umgekehrt die einzige Rechtfertigung dessen, was geschieht, darin liegt, erzählt zu werden. "Der Untergeher“ ist demnach ein Titel, der über sämtlichen Büchern von Bernhard, auch den autobiographischen, stehen könnte. An seiner verächtlichen Geistes- und Sprachhaltung gehen auch seine Antihelden, der Pianist Glenn Gould und der "Geisteswissenschaftler“ Wertheimer (dem er einen Vornamen verweigert), in dem 1983 erschienen Roman zugrunde. Es ist die Heftigkeit der Verachtung, die den manchmal seitenlang um wenige Wörter kreisenden Wiederholungs- und Anordnungsstil davor bewahrt, monoton zu wirken.

Glenn Gould als Schatten

Selbst den Tod seines Freundes Wertheimer gibt der Ich-Erzähler Bernhard preis und zeigt ihn erniedrigend kindisch. Dieser erhängt sich demonstrativ vor dem Haus seiner Schwester, die, nachdem sie jahrzehntelang als Haushälterin von ihm unterdrückt worden war, schließlich in einer "Vernunftehe“ mit einem Schweizer Zuflucht fand. Aber es ist nicht die schwesterliche Demütigung, die Wertheimer ruiniert hat, sondern die Begegnung mit Gould, dem "wichtigsten Klaviervirtuosen des Jahrhunderts“, wie Bernhard sagt. Als Wertheimer Gould spielen hört, wird ihm nicht nur bewusst, dass er als Pianist überflüssig ist, Gould prägt für ihn auch das böse Wort vom geborenen "Untergeher“.

Bernhard lässt es in seinem Roman offen, ob das zufällige Zusammentreffen mit Gould, dem Wertheimer nicht standhalten kann, oder das vernichtende Wort, das sich wie ein Geschwür ausbreitet, den eigentlichen Grund bildet, der Wertheimer in den Ruin treibt. Und aus dieser literarischen Unentschiedenheit entsteht eine eigentümliche Spannung zwischen einer um sich selbst rotierenden Sprache, einer Erzählung, die kaum etwas Greifbares preis gibt, und dieser Bernhard’schen Schreibsubstanz, von der das ganze Buch zehrt, ohne dass man sie beim Namen nennen könnte. Selbstverständlich ist der Gould des Romans, obwohl Realitätsfragmente eingebaut sind, eine Fiktion, nicht mehr als ein Schatten, den er auf Wertheimer und den Ich-Erzähler wirft.

Ganz anderes die Grazer Inszenierung von Christiane Pohle, die über weite Strecken den Schatten meidet. In einem sehr offenen und dunklen Bühnenraum begegnen einander die drei Freunde. Christoph Luser als Haupt- und Ichfigur trägt zwar eine lodengrüne Strickweste, aber er hat wenig von der Salzburger Angewidertheit des Thomas Bernhard. Sein monoton markantes Sprechen tut dem Text gut, der Figur nicht wirklich. Sebastian Reiß als Wertheimer will einfach nicht verzweifeln. Und bleibt an der Oberfläche, die ihm zwar erlaubt, hinreißende akrobatische Nummern mit Notenständern zu servieren, ihn aber davon abhält der Tragik zu verfallen.

Am Ende der echte Gould …

Claudius Körber bleibt leider zu weit weg vom Menschen Gould, diesem Hypochonder und Narziss, diesem Clown und Kauz, diesem wankelmütigen Genie. Vielleicht kann man Gould ja auch nur hören und nicht spielen. Birgit Stöger als Schwester Wertheimers überzeugt dagegen sehr als unterdrückte Frau, auch Gerhard Balluch als Hausdiener der Wertheimers geht durch diese Bernhard’sche Welt wie ein Einheimischer. Dazwischen liefern sich zwei Pianisten (Simon Schuller, Bence Földi) Bizet-Wettkämpfe, die zu den dichtesten Momenten in diesen zweieinviertel Stunden gehören, in denen Konzertstühle geworfen, ein überdimensionales Kamelskelett aus dem Boden gezogen und Klavierstühle gekappt werden. Am Ende spielt endlich der echte Gould Bach, wir Untergeher hören zu.

Weitere Termine

26. Februar, 1., 6., 7., 20.März

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