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Irene Harand - eine Ausnahmeerscheinung im Wien der Zwischenkriegszeit.

Geschichte braucht Geschichten. Und jede Geschichte braucht ein Gesicht und einen Namen. Die Narrative einer Gesellschaft - die Summe all ihres Erzählens aus der Geschichte heraus - sind Kultur und Sinn stiftend. Ob diese Geschichten tatsächlich auch - wie dieser Tage ständig und bis zum Überdruss behauptet wird - so was wie kollektive, staatliche oder gar "nationale Identität" (welch ein Widerspruch in sich) herstellen, sei mit größter Skepsis dahingestellt. Die vielen Ansätze des Gedenkjahres 2005, auf die vergangenen 60 Jahre Österreichs zu schauen, eröffnen auch die Frage, welche Geschichten - und damit Namen und Gesichter - erzählt und welche verschwiegen oder vergessen wurden und warum. Vielleicht ist diese Ambivalenz und Auswahl der zu erzählenden oder vergessenen Geschichten der beste Indikator für Geschichtsbewusstsein.

Eine der weitgehend unbekannten weil unerzählten Geschichten im Nachkriegs-Österreich ist jene von Irene Harand. Sie blieb weit weg im Exil in New York, und in Österreich fragte niemand nach ihr. Und dies obwohl oder vielleicht gerade weil Irene Harand eine faszinierende Ausnahmeerscheinung im Wien der Zwischenkriegszeit war.

Wien der Zwischenkriegszeit

Es ist das große Verdienst von Christian Klösch, Kurt Scharr und Erika Weinzierl, mit ihrem eben im Studienverlag erschienenen Buch "Gegen Rassenhass und Menschennot - Irene Harand - Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin" diese Geschichte gegen das Vergessen festgehalten zu haben. Mit enormem Forschungsaufwand dokumentieren die Autoren weit mehr als nur die Lebensgeschichte einer Widerstandskämpferin: an der Biografie und am Engagement von Irene Harand eröffnen sich die komplexen politischen wie sozialen Verhältnisse im Wien der Zwischenkriegszeit.

Eine junge Frau aus gutbürgerlichem Haus, behütet und sorgenfrei aufgewachsen, eine überzeugte Christin, eng verbunden mit dem konservativ-katholischen Lager, ergreift in einem von übelsten Vorurteilen verseuchten öffentlichen Klima ganz entschieden Partei gegen Rassimus und Antisemitismus. Harand macht dies in eben jener Haltung wie sie Hannah Arendt Jahrzehnte später für das öffentlich-politische Auftreten definiert: mit Rückhaltlosigkeit und der ganzen Person, die nicht mehr trennt zwischen öffentlich kalkuliertem Statement und einem klammheimlichen persönlichen Vorbehalt. Vielleicht wäre dies ja durchaus auch ein Vorbild für die Politikergeneration von heute, die angeblich verzweifelt danach fahndet, wo ihre Glaubwürdigkeit auf der Strecke geblieben ist. Irene Harand belässt es aber nicht bei der Bekämpfung der Phänomene, sondern geht der Frage nach, woher der Ungeist kommt, wer ihn verbreitet und vor allem, wie die aufziehende Katastrophe noch abgewendet werden könnte. Präzise und in aller Klarheit und Schärfe analysiert sie die verheerende und menschenverachtende Ideologie des Nationalsozialismus.

Sensibel aus Erfahrung

Durch eine eher zufällige Begegnung mit dem jüdischen Rechtsanwalt Moriz Zalman und seinem Kampf für die Kleinrentner wird Irene Harand für soziale und politische Fragen, aber auch gegen den Antsemitismus sensibilisiert. Sie lernt bei Hilfsaktionen die Elendsquartiere in Wien hautnah kennen, auch die jüdischen. Wie ein roter Faden zieht sich durch ihre Biografie, mit welch großer Offenheit und Empathie Irene Harand ihre Erfahrungen sammelt, daraus lernt und diese Erfahrungen in politisches und publizistisches Handeln umsetzt. "Und handeln danach" schreibt Ingeborg Bachmann in "Das dreißigste Jahr". Handeln aus der eigenen Erfahrungen heraus und im Vertrauen auf die eigene Wahrnehmung und Empathie. Politische Theoriebildung war für Irene Harand - wenn sie denn überhaupt in solchen Begriffen dachte - nie eine Vorstellung oder ein Vorurteil gegenüber der Welt a priori, sondern Folge einer konkreten Wahrnehmung der Welt. So beobachtet Harand bei einem hj-Aufmarsch auf der Wiedner Hauptstraße einen hj-Buben, der vorerst einen durchaus sympathischen Eindruck macht. Doch als die Gruppe dann Kampfparolen zu brüllen beginnt, bricht aus ihm immer ungehemmter so viel Hass hervor, dass dadurch auch die äußere Erscheinung in kürzeste Zeit völlig entstellt wird. In "Sein Kampf - Antwort an Hitler" beschreibt sie sehr genau die Notwendigkeit und Instrumentalisierung und die Funktion des Hasses innerhalb des Nazisystems. Wo der Hass auch immer herkommt, die teuflische Strategie bestand darin, ihn ohne Tabu anzusprechen und auf Feindbilder zu lenken.

Gegen Rassenhass

1930 gründet Irene Harand zusammen mit Moriz Zalman "die österreichische Volkspartei" und 1933 die "Harandbewegung - Weltorganisation gegen Menschennot und Rassenhass". Schon allein aus dieser Namensgebung wird sichtbar, wie sehr Irene Harand der Zusammenhang zwischen sozialer Verelendung und Rassismus bewusst war und dass nur eine international konzipierte "Weltorganisation" gegen nationalistischen Kleingeist helfen kann. Zugleich steht sie mit ihrem Namen für ihr politisches Programm ein. Die Wochenzeitschrift "Gerechtigkeit" war das publizistische Sprachrohr der Bewegung und zugleich Diskussionsplattform - weit über die Grenzen Österreichs hinaus.

Unerschrocken geht Irene Harand auch in direkte Konfrontation mit dem Nationalsozialimus, genauer gesagt, sie rechnet mit Hitler und seinen verheerenden Thesen ab und adressiert ihn dabei persönlich. "Sein Kampf - Antwort an Hitler", 1935 im Selbstverlag publiziert, ist programmatisch und politisch eine Großtat. Dieses Buch wurde vom Wiener Ephelant Verlag neu aufgelegt und kann nur nachdrücklich zur Lektüre empfohlen werde: Es liest sich - auch im Nachhinein und aus der Perspektive von 60 Jahren Zeitgeschichtsforschung - wie die Vorwegnahme all der Katastrophen, die die Nazis über die Welt bringen sollten.

Klare Sicht Hitlers

Ganz präzise benennt Harand die destruktiven Treib- und Sprengstoffe in Hitlers monströsem System und wie er diese für seine politischen Zielsetzungen instrumentalisiert: den Nationalismus, den Antisemitismus und drunter und drüber und in allem präsent : Hitlers unerschöpflicher Hass. Beschwörend erkennt sie, dass die Massenemotionalisierung über das Vehikel des Nationalismus nur in Krieg und Zerstörung enden kann. Irene Harand liefert damit aber auch die unbestechliche - weil gegen alle Ausreden - unangenehme Botschaft für das Gedenkjahr 2005, dass es bereits 1935 für eine einfache Bürgerin ohne besondere politische Bildung oder Zugang zu den Machtzirkeln möglich war, den Nationalsozialismus in all seinen Konsequenzen zu durchschauen. Irene Harand musste dafür keine Hellseherin sein. Ähnlich wie Zyrill Fischer, der Franziskanerpater aus dem Mühlviertel oder Franz Jägerstätter genügte Irene Harand die Lektüre der Nazischriften und ein waches Bewusstsein.

Wie sehr Harands Analyse die Nazis getroffen hatte, zeigten ihre wütenden Reaktionen nach dem Anschluss. So wurde bei der öffentlichen Bücherverbrennung auf dem Salzburger Residenzplatz am 30. April 1938 auch Irene Harands Buch "Sein Kampf" ins Feuer geworfen. Alle Unterlagen der Harandbewegung wurden beschlagnahmt und nach Berlin geschickt. Auf einer "schwarzen" Liste des Sicherheitshauptmannes findet sich unter den "führenden Männern" der Systemzeit auch der Name von Irene Harand. Angeblich hatten die Nazis sogar eine Prämie von 100.000,- für die Ergreifung von Irene Harand ausgeschrieben. Mit großem Glück - sie war während des Anschlusses auf einer Vortragsreise im Ausland - konnte sich Irene Harand mit ihrem Mann den Nazis entziehen und ins Exil nach New York gehen. Vergeblich kämpfte sie um die Rettung von Moriz Zalman, der in ein kz verschleppt wurde und dort umkam.

Empathie statt Ideologie

Das wichtigste und anrührendste Kapitel im Buch von Christian Klösch, Kurt Scharr und Erika Weinzierl ist für mich die "Schlussbemerkung: Irene Harand. Eine Annäherung an ein Genie des Gefühls." Noch einmal wird klar, wie sehr für Irene Harand politischer Verstand und Empathie zusammengehörten. Alle noch lebenden Zeitzeugen, die das Glück hatten, Irene Harand persönlich zu begegnen, beginnen ihre Erzählungen über sie mit der Beschreibung dieses Charismas, dieser Ausstrahlung und Empathie einer Frau, die durchaus selbstbewusst in ihrem Auftreten, Denken und Handeln immer ganz präsent und ganz "Person" war. Joseph Hausner, jener Mitstreiter der ersten Stunde aus Cernowitz, der sie in New York wieder traf, nannte sie gar "einen Engel." Irene Harand war keine Ideologin, sie wollte politisch nicht schlau sein und wenn sie so entschieden gegen die Volksdemagogen und die Propaganda des Hasses kämpfte, kämpfte sie zu allererst für den utopischen Gegenentwurf - auch wenn sie das nie so genannt hätte - einer solidarischen, empathischen und gerechten Welt. Die wahre Bedeutung von Irene Harand kann demnach nicht intellektuell, sondern nur empathisch erfasst werden. Dies könnte durchaus ein verändertes politisches Verständnis evozieren.

Der Autor ist Filmemacher und gestaltete den Film "Sein Kampf" über Irene Harrand.

Gegen Rassenhass und Menschennot. Irene Harand - Leben und Werk einer ungewöhnlichen Widerstandskämpferin

Von Christian Klösch Kurt Scharr, Erika Weinzierl. Studien Verlag, Innsbruck 2005. 324 Seiten mit zahlr. Abb. und Audio-CD, geb. e 37,10

"Sein Kampf" - Antwort an Hitler

Von Irene Harand Beiträge von Kardinal Schönborn, Peter Marboe, John Haag. Ephelant Verlag, Wien 2005. 320 Seiten, kt., e 22,-

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