Gescheiterte Parallelaktion

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Die Dramatisierung des 2017 mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten EU-Romans "Die Hauptstadt" von Robert Menasse liegt nicht unbedingt auf der Hand. Zumindest wenn die Einschätzung hinsichtlich dessen bühnentauglichen Potenzials gefällt worden wäre. Aber am Aufmerksamkeitskuchen des publikumswirksamen Bestsellers mitzunaschen, war für das Schauspielhaus Wien offenbar zu verlockend. Das Resultat: ernüchternd.

Die Schwierigkeiten, die Menasses Roman seinen Bearbeitern, dem Dramaturgen Tobias Schuster und der Regisseurin Lucia Bihler,beschert haben mag, kann die Inszenierung, mit der das Wiener Schauspielhaus seine Saison eröffnet hat, kaum verhehlen. Allzu schnell wird an dem Abend deutlich, dass die beiden mit dem vielschichtigen und manchmal kaleidoskopartig ausufernden Roman einigermaßen überfordert waren: mit seiner Fülle an Figuren und Handlungssträngen, den über 450 Romanseiten ausgebreiteten (un)geschriebenen Gesetzen der Europäischen Kommission, der satirisch überzeichneten Schweinezuchtverordnungsprosa, den vielen angeschnittenen politischen Diskursen (Flüchtlinge, Terrorismus, Rechtspopulismus, etc.) und Menasses historischer Tiefenschärfe. Der Inszenierung ist nämlich kein eigentliches thematisches Zentrum oder auch eine Haltung zu Menasses ausgebreiteter Europa-Vision von der Überwindung des Nationalstaates zu entnehmen. So ist das, was man in zwei pausenlosen, langen Stunden zu sehen und hören bekommt, ein wenig von allem und daher und zuerst von allem zu wenig.

Nörgelnde Zombies

Für den Blick hinter die Kulissen der Macht hat Bihler einen heruntergekommenen Klub von ausgesuchter Hässlichkeit gewählt (Bühne Josa Max). Hier am Tresen auf blauem Spannteppich, vor grünem Marmorimitat an den Wänden und tief hängender roter Decke treffen sich die Brüsseler Politiker, Bürokraten und Lobbyisten zur Happy Hour, um bei reichlich Ouzo und etwas Karaoke die nächsten Projekte, wie das wegen sinkender Beliebtheitswerte der Kommission geplante "Big Jubilee-Project", voranzubringen oder Intrigen und Ränkespiele um Versetzung und Karrieresprung einzufädeln.

Wo im Roman Figuren mit einer Herkunftsgeschichte so ausgestaltet werden, dass Menschen sichtbar werden, sind in Bihlers Inszenierung nur nörgelnde Zombies zu sehen. Das scheint die einzige Idee gewesen zu sein: Brüssel als Hauptstadt der lebenden Toten.

Wie auch immer man die Tragfähigkeit und Schlüssigkeit dieses Konzepts beurteilen mag, am Ende schien es den Autoren selbst zu wenig. So endet das Stück mit dem Referat über den "Gründungsmythos Auschwitz" als einzig möglicher Hauptstadt Europas und es wirkt, als sollte dem Ganzen im letzten Moment noch etwas Substanz eingehaucht werden. Die Parallelaktion der Dramatisierung dieses Romans ist trotzdem gescheitert.

Die Hauptstadt Schauspielhaus Wien, 5., 6., 11., Okt.

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