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Der Auftrag des 12. November

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Die Geschichtswissenschaft ist nicht nur ein Bericht über das, was einmal war, sondern auch die Lehre von den Erkenntnissen und Konsequenzen, die wir aus dem Vergangenen ziehen können.

Die Emanzipation der Nationen

Wenn wir in diesem Überblick mit dem 12. November 1918 beginnen wollen, so steht zunächst die Frage nach den Ursachen des Zusammenbruches des alten Donaureiches Österreich. War es die morschgewordene Konstruktion der alten Donaumonarchie, war es der verlorene Krieg, waren es die sozialen Verhältnisse oder überhaupt der Drang nach Modernisierung, die die republikanische Staatsform gebracht haben? Die Zeit des übernationalen Reichsgedankens war ohne Zweifel abgelaufen. Däs galt allerdings nicht erst für den November 1918, sondern geht auf die geschichtlichen Ereignisse des 19. Jahrhunderts zurück, mit ihrem Beginn des Zeitalters der Nationalstaatlichkeit, mit dem Wunsch der einzelnen Völker dieser Vielvölkermonarchie, ihr staatliches Schicksal selber in die Hand zu nehmen. Wenn es auch keinen Sinn hat, eine geschichtliche Betrachtung unter der berühmten Hypothese „was wäre geschehen, wenn..aufzustellen, so muß doch an jene historische Wahrheit erinnert werden, daß es nicht nur die Tschechen, Slowaken, Ungarn, Kroaten, Slowenen, Polen, Ruthenen usw. gewesen sind, die ihre eigene nationale Staatlichkeit wünschten, sondern daß es vor allem das deutschsprachige Element in der Vielvölkermonarchie war, das den nationalen Gedanken in besonderer Weise hochgespielt hat. Das kam zum Beispiel bei der gar nicht so üblen badenischen Sprachenverordnung zum Ausdruck, als die nationalen Leidenschaften gerade von den Deutsch-Österreichern entsprechend hochgespielt wurden.

„Staat wider Willen“?

Schließlich gehören in diese Palette der Ursachen, von denen ja nur einige genannt sind, auch die republikanischen Bestrebungen der Sozialdemokratischen Partei, die sich in dem Augenblick, da man allgemein die Unhaltbarkeit der monarchischen Staatsform unter den Bedingungen von 1918 erkannte, mit aller Kraft für die neue Staatsform eingesetzt hat. Daß verlorene Kriege Throne stürzen, ist ein vielfältiges, sich immer wiederholendes Ereignis in der Geschichte, das im österreichischen Fall durch die nur beispielhaft erwähnten anderen Umstände noch besonders gefördert wurde. Da es sich aber im Falle Österreichs nicht bloß um eine Änderung der Staatsform, sondern überhaupt um den Zusammenbruch und das Auseinanderfallen des Staates handelte, war die Freude an der neuen Staatsform in weiten Kreisen des österreichischen Volkes nicht sehr groß. Verband sich doch mit dem Ende der monarchischen Staatsform auch das Ende eines Zeitalters, in dem der alte Staat zu den Großmächten zählte, während das, was von Österreich- Ungarn übrigblieb, um an ein Wort Clemenceaus zu erinnern „L’Autriche est le reste“, ein kleines armes und völlig machtloses Staatsgebilde war, das als ein Spielball der Großmächte gelten konnte und in dessen wirtschaftlicher Lebensfähigkeit man ernsteste Zweifel setzen mußte. Es war daher auch weiter nicht verwunderlich, daß die erste österreichische Nationalversammlung den Beschluß faßte, diesen Staat überhaupt aufzugeben, um ihn als einen Bestandteil der in Bildung begriffenen großen deutschen Republik zu erklären. Das Diktat der Siegermächte verhinderte die Realisierung dieses Beschlusses, und es ist daher nicht zuviel gesagt, wenn diese österreichische Republik zunächst als ein „Staat wider Willen“ bezeichnet wurde.

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