Geschichten von Flüchtlingen

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Für sein Stück "Allerwelt“ hat der 31-jährige Wiener Autor Philipp Weiss in der Flüchtlingssiedlung Macondo recherchiert. Petro Martins Beja hat es im Schauspielhaus Wien inszeniert.

Macondo zieht Menschen aus aller Welt an. Doch keiner kommt freiwillig hierher. Macondo ist die wenigen bekannte Flüchtlingssiedlung in Simmering. Die ehemalige Kaserne am Wiener Stadtrand beherbergt seit sechzig Jahren Menschen aus der ganzen Welt. Zuerst kamen Flüchtlinge aus den Nachbarländern, etwa 1956 aus Ungarn, 1968 aus Prag, in den 1970er-Jahren dann aus Südamerika. Die einen flüchteten, weil sie Kommunisten waren, die anderen, um kommunistischen Militär-Diktaturen zu entkommen.

Allerwelt könnte auch eine Flüchtlingssiedlung irgendwo auf der Welt sein. Schließlich ist der Name nach einem fiktiven Schauplatz aus Marquez’ "Hundert Jahre Einsamkeit“ gewählt.

Im Zentrum von Weiss’ Stück steht die junge Frau Mila Katz. Sie sucht nach ihrer Herkunft: "Nach Wurzeln zu fragen, bedeutet sich selbst als Gemüse zu betrachten!“ sagt sie eingangs ironisch. Ihre Identität bleibt bis zum Schluss ein Rätsel.

Nicola Kirsch ist in der Inszenierung von Pedro Martins Beja ein entzückendes Mädchen, das sich mit der Welt mitdreht. Mit zwei blonden, hochgesteckten Zöpfen, einem Kleidchen und roten Schuhen steckt sie ihre Nase durch die Wellblechtür, die ihr den Eintritt in die Geschichte(n) der Flüchtlinge eröffnet. Die Katastrophen wiederholen sich, die Dramen von Verfolgung und Migration drehen sich wie ein trauriges Zirkuskarussell in dieser unwirtlichen Welt.

Ein Text mit brisanter Problematik

Bühnen- und Kostümbildnerin Janina Audick hat einen Wellblech-Container auf die Bühne des Schauspielhauses gestellt, der unterschiedliche Räume markiert, einmal Gerichtspsychiatrie, dann Gefängnis, schließlich Flüchtlingsherberge. Auf der einen Seite robotert eine Ärztin aus Afghanistan, sie unterstützt ihre Familie, ihr bleibt kaum etwas von ihrem Einkommen übrig. Mechanisch übt sie ihre Arbeit aus, stets gewissenhaft, immer gehetzt. Auf der anderen Seite sucht Fatima, zweifache Mutter aus Somalia, Schutz und Zuflucht.

In Macondo hat das Innenministerium 2009 das Kardinal König-Integrationshaus geschlossen und ein Abschiebezentrum eingerichtet. Für die transsexuelle Türkin Yasar, die schwer traumatisierende Erfahrungen machen musste, ist dieser Ort reale Existenz-Bedrohung und ständiger Fingerzeig, dass es noch schlimmer kommen kann.

Philipp Weiss hat ein Anliegen und findet dafür die richtigen Worte. Er schreibt über den konkreten Ort und zugleich über die ganze Welt. Das gelingt ihm bisweilen höchst poetisch. In der Inszenierung von Beja allerdings geraten die Fäden durcheinander, verknoten und verwickeln sich, weil Beja einfach zu viele Regie-Spielchen ausprobiert. Beja hat an der Berliner Ernst-Busch-Schule sein Handwerk gelernt und ist eindeutig von der Ästhetik eines Frank Castorf geprägt: Er arbeitet mit der Handkamera, die entsetzte Gesichter einfängt und auf die Leinwand projiziert. Schier endlos lange Szenen sollen provozieren. Nach zwei pausenlosen Stunden klatscht das Publikum das Ende herbei, weil Beja selbst zu keinem kommt. Weiss’ interessantem Stück hat dieser Zugriff nicht gut getan, auch den Schauspielern nicht. So werden etwa Dialekte derart schlecht imitiert, dass es besser gewesen wäre, man hätte es ganz bleiben lassen. Man kann Philipp Weiss nur wünschen, dass das Stück Regisseure findet, die seiner Dramaturgie gerecht werden. Immerhin ist die Problematik von "Allerwelt“ brisanter denn je.

Allerwelt - Schauspielhaus Wien

4., 15., 16. April

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