Gott entscheidet, wohin wir reisen

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Die Bibel ist kein Buch, sondern eine Bibliothek, in der vieles Platz hat. Allzu vieles. Auch in der protestantischen Großfamilie gibt es Chauvinsten und Teufelsaustreiberinnen, Royalisten und Theologinnen, die Homophilie unter Strafe stellen wollen. Dass der Protestant Anders Breivik geisteskrank ist, konnte bisher nicht bewiesen werden. Und was würde ein psychiatrisches Gutachten bedeuten? Letztlich nicht mehr als eine weitere Stimme im Konzert der revidierbaren Meinungen. Dass die biblische Tradition automatisch einmünden möge in all das, was mir lieb und wert ist, in "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“ kann ich mir wünschen. Aber es gibt ihn nicht, den himmlischen Schiedsrichter, der uns aus den Wolken herab zurufen würde, wohin wir die Welt zu lenken haben: in eine postpatriarchale Gesellschaftsordnung oder in ein "wesentlich auf die Familienoberhäupter abgestütztes Wahlrecht“.

Ich kann Herrn Ratzinger nicht verbieten, feministische Ordensfrauen zu maßregeln und sich der Pius-Bruderschaft zuzuwenden. Und mich voll Genugtuung darauf zu berufen, dass ich als Protestantin seiner Autorität nicht unterstehe, ist angesichts der eigenen globalen Familienverhältnisse ein schwacher Trost.

Was hilft? Das Vertrauen auf die Gemeinschaft der Nachdenklichen aller religiösen und kulturellen Zugehörigkeiten. Wir wissen es: Auch die Menschenrechte sind kein historischer Automat. Aber es gibt die Möglichkeit, sie jeden Morgen neu in Wort und Tat zu praktizieren als in der "Sakralität der Person“ (Hans Joas) gründende Wahrheit. Wohin wir gemeinsam reisen, da gebe ich den Piusbrüdern recht, das entscheide nicht ich, sondern Gott. Und Gott, das steht jedenfalls auch in der Bibel, ist Liebe (1 Joh 4, 8) und Barmherzigkeit (Ex 34,6).

Die Autorin ist Buchautorin und evang. Theologin in der Schweiz

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