Hintersinn statt Sinn

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Das geht ans Herz! Wenn nach pausenlosen zwei Stunden die Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter mit Gustav Mahlers "Ich bin der Welt abhanden gekommen" diesen ins Elegische gedehnten Abend beschließt. Dabei ist in "Isoldes Abendbrot" zwar durchaus von einer melancholischen Stimmung durchweht, macht aber nicht wirklich traurig. Denn wie fast immer bei Christoph Marthaler wird auch hier die Schwere des Melancholischen durch eine kaum erklärliche Leichtigkeit gemildert, wobei es nicht einfach zu sagen ist, wie die zustande kommt.

Zum einen liegt das sicher an den typisch Marthaler'schen 'Helden'. Hier verkörpert durch alte Bekannte aus der Marthaler-Familie: Raphael Clamer, Ueli Jäggi und Graham F. Valentine geben ein sanft spöttisches Abbild von in die Jahre gekommenen Männern. Mit stoischen Mienen, wenigen Gesten und noch wenigeren Worten, begleitet von unendlich schöner Musik (am Klavier Bendix Dethleffsen) vermögen sie es, Eindruck zu geben, von einem Leben und einem Schicksal. Umständlich, sich und einander im Weg stolpern sie hinein, in die Leere der dunkelbraun getäfelten Bar, mit einem mächtigen runden Tresen in der Mitte, einem Kamin links, der sich per Knopfdruck gegen ein Harmonium austauschen lässt und zwei mächtigen knarrenden Clubsesseln samt einem (sprechenden) Humidor rechts. Dieser Raum ist einer für Einsame, die es bleiben werden.

Erträumte, verblichene Lebensentwürfe

Getrieben vom ewigen Begehren, das doch nur mehr ein ferner Klang ist, machen die drei Möchtegern-Schwerenöter hier einer Dame (oder sind es deren mehrere, denn mal trägt sie schwarze, dann blonde, schließlich rote Haare?) etwas linkisch den Hof. Anne Sofie von Otter aber lässt sie mit gleichgültiger Miene abblitzen. Selbst dann, als die drei wie auf einem Karussell um den Tresen kreisen und in unzähligen Kostümen als ganz unterschiedliche Männer wieder auftauchen, eine aberwitzige Revue erträumter, verblichener Lebensentwürfe. Stattdessen hängt sie ihren eigenen Träumen nach. Dann ist sie auch mal weniger Bardame, als vielmehr Femme Fatale, große Chansonniere oder Alchimistin, die den drei Gigolos statt eines Liebestranks einen KO-Cocktail mixt. Während sie Juliette Grécos "Déshabillez-moi" singt, entkleiden sich in einer grandiosen Slapstick-Nummer zwei der Herren, während sich Raphael Clamer, brillant die Schlagstöcke bedienend, wie eine rollige Katze um von Otter windet.

Ein erzählerischer Faden ist an dem wunderbar virtuosen Abend kaum auszumachen. Er besteht aus einer Aneinanderreihung von 28 Nummern mit Musik von Beethoven, Bach, Schubert und Korngold bis hin zu Léo Ferré oder Elvis Costello, deren thematischer Kern irgendwie ums Verschwinden, um die menschliche Hinfälligkeit, etc. dreht. Wie heißt es weiter in Mahlers Lied: "Denn wirklich bin ich gestorben der Welt. / Ich bin gestorben dem Weltgetuemmel, / Und ruh' in einem stillen Gebiet! / Ich leb' allein in meinem Himmel, / In meinem Lieben, in meinem Lied!".

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