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Die neue Galerie Graz zeigt Peter Weibels Frühwerk aus den Jahren 1964-79.

Man sieht ihn mit nacktem Oberkörper über eine Stahlrinne gebeugt, Arme und Hände an Elektroden angeschlossen, die ihm beim Rezitieren eines Textes regelmäßig Strom durch den Körper jagen. Der lange Marsch, eine Sprachperformance von 1969, eskaliert wortwörtlich zum Befreiungsschlag eines Hochspannungskünstlers. Die Ausstellung der frühen Werke Peter Weibels ist Teil einer Werkschau zum 60. Geburtstag, an der sich Galerien in Karlsruhe und Budapest beteiligen. Die Schau gibt Einblick in das breite polykontextuelle Schaffen Weibels in den 1960er und 70er Jahren. Bereits damals weitete er experimentell verschiedene Kunstformen aus. Aktionen wie expanded cinema entstanden. Mit den Wiener Aktionisten und Dichtern der Wiener Gruppe laborierte er an konkreter und visueller Poesie, action lectures, Text-Aktionen, produzierte Filme und erstmals auch Videos (als es eigentlich noch kein Video gab). Mit der aufkommenden Computerkunst der 80er Jahre setzte das Kuratorenteam eine Zäsur und ermöglichte so die "lesbare" Musealisierung eines nach wie vor multipel rasenden Peter Weibel.

Bazon Brock spricht vom "Gedankenkünstler" Weibel, der die ästhetische Dimension der Kunst seinem Kopf opfert und damit Themenfelder und Problemzonen kunstkritisch durchwälzt. So etwa in Possible: ein Projektor läuft, an der Leinwand gegenüber liest man das Wort possible. Stellt man sich als Betrachter zwischen Projektor und Leinwand, wird einem der Riss bewusst, mit dem Weibel kalkuliert, wenn er über Form und Inhalt, Objekt und Darstellung rätselt. Das Wort possible wurde auf die Leinwand geklebt, der Projektor läuft leer. Das Mögliche, sagt Weibel, sei ein Schlüsselbegriff seiner Kunst. Nicht aus der Jolly Joker-Rätsel Ecke kommt eine andere Reihe von Arbeiten: etwa die Videoskulptur Beobachtung der Beobachtung: Unbestimmtheit von 1973. Drei Monitore und drei Kameras fassen einen am Boden ausgelegten metallenen Judenstern ein. Stellt man sich in die Mitte dieses skulpturalen Arrangements und blickt in einen der drei Monitore, wird man (befolgt wird: Du sollst dir kein Bild machen) zum Betrachter seiner "Hinteransicht".

Selbst die schwere Bedeutungslast großer Zeichen scheut Weibel nicht. Die Kruzifikation der Identität (1973) etwa gewinnt nicht allein an Bedeutung durch den aufkommenden Technikglauben dieser Jahre, sondern durch Identitätsübergänge und konstruierte Wahrnehmungsräume: besteigt man ein Podest und streckt seine Arme waagrecht aus, sieht man sich im Monitor einer Kreuzskulptur.

Kofferweise schleppte Peter Weibel im Wochenrhythmus vor der Eröffnung sein Material von Karlsruhe nach Graz. Die Maßlosigkeit, mit der man als Besucher einer Ausstellung zu kämpfen hat, die Weibel kuratiert, scheint nachvollziehbar. Er steht noch immer unter Hochspannung, unentwegt an Multiple-Choice-Verfahren im Kunst-, Medien- und Theoriekosmos laborierend.

Peter Weibel:

das offene werk 1964-1979

Neue Galerie, Sackstr. 16, 8010 Graz www.neuegalerie.at

Bis 21. 11., Di-So 10-18, Do bis 20 Uhr

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