Ian McEwan, die Zweite

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Fiona Maye (Emma Thompson) ist mit Leib und Seele Familienrichterin. Sie verteidigt das Wohlergehen der Kinder auch gegen die Wünsche der Eltern, die sehr oft von einer unerbittlichen religiösen Praxis motiviert sind. Dann stehen Gottes Plan und die Moral im Streit mit menschengemachtem Recht, der Wille einer Gemeinschaft gegen individuelle Entfaltung. Doch ihr Engagement fordert seinen Preis. Ihr Ehemann (Stanley Tucci) will mit ihrem Segen eine Affäre beginnen. Aber schon liegt der nächste Fall auf dem Tisch. Ein 17-jähriger, leukämiekranker Teenager (Fionn Whitehead) will sich keine Bluttransfusion geben lassen: Als Zeuge Jehovas sei ihm dies verboten.

Mit "Kindeswohl" kommt neben "Am Strand"(FURCHE 25/2018) eine weitere Verfilmung von Ian McEwans Werk ins Kino, und wieder hat der Autor das Drehbuch verfasst. Seine Fragen sind von höchster gesellschaftlicher Brisanz. Bei der Abwägung von Recht und religiösen Prinzipien hält er es für überlegenswert, welche Folgen die Rechtsprechung auf das Leben der Menschen hat. Die suchen manchmal verzweifelt nach neuer Orientierung, bleiben aber letztlich, wie der Film plastisch macht, auf sich selbst zurückgeworfen. Emma Thompson verleiht der Richterin intellektuelle Kontur und eine kühlsachliche Freundlichkeit, wobei sie sich von dem Schicksal des Jungen mehr berühren lässt, als es ihr Amt erlaubt. Da erhält das gemeinsame Musizieren eine tragende Rolle und führt zu zwei bewegenden Szenen, angesichts derer die Filmmusik aus dem Off wie ein störender, wahllos plätschernder Kontrapunkt wirkt.

"Kindeswohl" macht die Problematik vieler Literaturverfilmungen deutlich. Der Zuschauer kann Fiona nur aus ihrem Reden und Handeln, anhand ihres Gesichts, ihrer Mimik und Gestik deuten. Im Roman hingegen wohnen wir Mayes Gedankenarbeit bei. Virtuos flicht McEwan deren Überlegungen zu ihrer Arbeit, zu ihrer Ehe und sich selbst, ihre Befürchtungen und Selbstzweifel ineinander. So erhält die Figur Tiefe und Scharfsinn. Man erkennt, wie schwer es sich Juristen mit ihren Entscheidungen machen. Da werden immer auch komplexe philosophische Abwägungen getroffen, was ein menschenwürdiges Leben ausmacht. Hier bleibt der Film blass.

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