In der Bibel steht nichts von Türmen

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Sichtbarkeit der Religion

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Sichtbarkeit der Religion

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Die Türme des Kölner Doms sollten nach dem Willen ihrer Erbauer die höchsten der Welt werden. Sie blieben aber, als sie 1880 endlich 157 Meter hoch und damit vollendet waren, nur vier Jahre lang Weltspitze. 1884 wurden sie vom Washington-Denkmal überholt, das seinerseits den Spitzenplatz schon 1889 dem Eiffelturm überlassen musste. Der ist 300 Meter hoch und blieb 41 Jahre lang Sieger. Das derzeit höchste Gebäude der Welt steht in Dubai. Es heißt Burdsch Chalifa und misst 828 Meter.

Was die Sakralbauten im engeren Sinn angeht, wurden die katholischen Rheinländer schon 1890 von den evangelischen Schwaben übertroffen, die ihr Ulmer Münster auf 162 Meter hochtrieben. Kulturkampf nennt man das. Und der Stephansdom? Schlappe 136,4 Meter! Die Moschee von Casablanca ist 35,5 Meter höher. Auch ich kann mich einer gewissen Genugtuung nicht erwehren, wenn ich in Ulm den Kopf in den Nacken lege, um die Himmelstürmerei meiner Kirche zu bewundern. Und dann noch diese sonoren Bassglocken! Zum Glück gibt es ja in Ulm nicht, wie zum Beispiel in Frankfurt, überragende Bankentürme, die meinen Stolz trüben könnten. Dass Dietrich Bonhoeffer auf dem Petersplatz am liebsten katholisch geworden wäre, kann ich nachvollziehen.

In der Bibel steht allerdings nichts davon, dass die Versammlungsorte der Gläubigen Türme brauchen. Im Koran meines Wissens auch nicht. Die Zeichen des Religiösen sind hier dezenter: Man kleidet sich unauffällig, lässt am Feiertag die Arbeit ruhen, erkennt sich an leise gesprochenen Segensworten. Die Taufe ist, einmal vollzogen, gänzlich unsichtbar. Und wer beschnitten ist, zeigt das auch nicht jedem. Der steinerne Phallus ist später in die Kirchen eingedrungen. Mit Konstantin oder wann genau?

Und heute? Wie wär's mit einem Sonnenkollektor auf dem Pfarrhausdach?

* Die Autorin ist Germanistin und evang. Theologin in der Schweiz

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